Chemikalienstrategie der EU für Nachhaltigkeit vorgelegt
Die Kommission der Europäischen Union hat heute mit der „Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit“ einen wichtigen Teil ihres Green Deal vorgelegt. Wir dokumentieren hier die begleitende Pressemitteilung der Kommission im Wortlaut.
Erste Reaktionen finden sich unter anderem unter
HEJSupport: The EU - still a frontrunner?
Sven Giegold: Europäische Chemiewende kommt voran
Health and Environment Alliance: Speedy implementation steps key to truly protect people’s health
Heute hat die Europäische Kommission die EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit verabschiedet. Die Strategie ist der erste Schritt in Richtung Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt, das im europäischen Grünen Deal angekündigt wurde. Die Strategie wird innovative Lösungen für sichere und nachhaltige Chemikalien fördern und den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien erhöhen. Dazu gehört ein Verbot der schädlichsten Chemikalien in Verbraucherprodukten wie Spielzeug, Babyartikeln, Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und Textilien, sofern sie nicht nachweislich unverzichtbar für das Allgemeinwohl sind. Ferner wird sichergestellt, dass alle verwendeten Chemikalien sicherer und nachhaltiger sind.
In der Chemikalienstrategie wird die grundlegende Rolle, die Chemikalien sowohl für das menschliche Wohlbefinden als auch für die grüne und die digitale Wende der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft spielen, voll und ganz anerkannt. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass dringend auf die gesundheitlichen und ökologischen Herausforderungen durch die schädlichsten Chemikalien eingegangen werden muss. Vor diesem Hintergrund werden in der Strategie konkrete Maßnahmen dargelegt, um Chemikalien inhärent sicher und nachhaltig zu machen und dafür zu sorgen, dass die Vorteile von Chemikalien ausgeschöpft werden, ohne dem Planeten oder den Menschen weder heute noch in Zukunft zu schaden. So wird nicht nur sichergestellt, dass in den Fällen, in denen das Allgemeinwohl dies nicht unbedingt erfordert, insbesondere in Verbraucherprodukten und für besonders schutzbedürftige Personengruppen, auf die schädlichsten Chemikalien verzichtet wird, sondern auch, dass alle Chemikalien sicherer und nachhaltiger eingesetzt werden. Die Strategie sieht verschiedene Innovations- und Investitionsmaßnahmen vor, um die Chemieindustrie bei diesem Wandel zu begleiten. Ferner werden die Mitgliedstaaten über die Möglichkeiten im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität informiert, in die grüne und die digitale Wende auch der Chemieindustrie in der EU zu investieren.
Mehr Schutz für Gesundheit und Umwelt
Ziel der Strategie ist, den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor schädlichen Chemikalien deutlich zu erhöhen, wobei gefährdeten Bevölkerungsgruppen besondere Aufmerksamkeit zukommen soll. Zu den wichtigsten Initiativen zählen
- die schrittweise Einstellung der Verwendung der schädlichsten Stoffe, darunter endokrine Disruptoren, Chemikalien, die das Immunsystem und die Atemwege beeinträchtigen, und persistente Stoffe wie Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), sofern sie nicht nachweislich für das Allgemeinwohl unverzichtbar sind;
- die Minimierung und möglichst weitgehende Substituierung bedenklicher Stoffe in allen Produkten. Vorrang haben dabei zum einen die Produktkategorien, die gefährdete Bevölkerungsgruppen schädigen können, und zum anderen die Produktkategorien mit dem größten Potenzial für die Kreislaufwirtschaft;
- die Berücksichtigung des Kombinationseffekts von Chemikalien (Cocktail-Effekt), indem dem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bei täglicher Exposition gegenüber einer breiten Mischung von Chemikalien aus verschiedenen Quellen Rechnung besser Rechnung getragen wird;
- die Einführung von Informationsanforderungen im Rahmen der Initiative für eine nachhaltige Produktpolitik, um den Zugang von Herstellern und Verbrauchern zu Informationen über die enthaltenen Chemikalien und die sichere Verwendung sicherzustellen.
Impulse für Innovationen und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der EU
Chemikalien sicherer und nachhaltiger zu machen, ist sowohl eine andauernde Notwendigkeit als auch eine große wirtschaftliche Chance. Die Strategie zielt darauf ab, diese Chance zu nutzen und die grüne Wende der Chemieindustrie und ihrer Wertschöpfungsketten einzuläuten. Neue Chemikalien und Materialien müssen möglichst inhärent sicher und nachhaltig sein, von der Herstellung bis zum Ende des Lebenszyklus. Dadurch kann den schädlichsten Auswirkungen von Chemikalien vorgebeugt und die Wirkung auf Klima, Ressourcenverbrauch, Ökosysteme und Biodiversität so gering wie möglich gehalten werden. Laut Strategie soll sich die EU-Industrie bei der Herstellung und Verwendung von sicheren und nachhaltigen Chemikalien zu einem wettbewerbsfähigen, weltweiten Spitzenreiter entwickeln. Die in der Strategie angekündigten Maßnahmen fördern industrielle Innovationen, damit die entsprechenden Chemikalien auf dem EU-Markt zur Norm und weltweit zur Vergleichsgröße werden. Erreicht wird dies im Wesentlichen durch
- die Entwicklung von Kriterien für inhärent sichere und nachhaltige Stoffe und die Sicherung von finanzieller Unterstützung für die Vermarktung und Verbreitung solcher Chemikalien;
- die Sicherstellung der Entwicklung und Verbreitung inhärent sicherer und nachhaltiger Stoffe, Materialien und Produkte durch EU-Finanzierungs- und Investitionsinstrumente sowie öffentlich-private Partnerschaften;
- eine erhebliche Intensivierung der Durchsetzung von EU-Vorschriften an den Grenzen und im Binnenmarkt;
- die Erstellung einer EU-Forschungs- und Innovationagenda für Chemikalien, um die Wissenslücken über die Wirkung von Chemikalien zu schließen, Innovationen zu fördern und nach und nach auf Tierversuche zu verzichten;
- eine Vereinfachung und Konsolidierung des EU-Rechtsrahmens wie z. B. durch Einführung eines Verfahrens nach dem Prinzip „Ein Stoff, eine Bewertung“, die Stärkung des Grundsatzes „Keine Daten, kein Markt“ und gezielte Änderungen der REACH-Verordnung und der Sektorvorschriften.
Die Kommission wird sich auch weltweit für Sicherheits- und Nachhaltigkeitsstandards einsetzen, vor allem indem sie mit gutem Beispiel vorangeht und eine konsequente Vorgehensweise fördert mit dem Ziel, dass in der EU verbotene gefährliche Stoffe auch nicht zur Ausfuhr hergestellt werden.
Der für den europäischen Grünen Deal zuständige Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans erklärte: „Die Chemikalienstrategie ist der erste Schritt in Richtung des Null-Schadstoff-Ziels der EU. Chemikalien gehören zu unserem Alltag, und mit ihnen können wir innovative Lösungen für die Ökologisierung unserer Wirtschaft finden. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sie in einer Weise hergestellt und eingesetzt werden, die weder der menschlichen Gesundheit noch der Umwelt schadet. Besonders wichtig ist, die schädlichsten Chemikalien nicht mehr in Verbraucherprodukten wie Spielzeug, Babyartikel, Textilien und Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, zu verwenden.“
Der für Umwelt, Meere und Fischerei zuständige Kommissar, Virginijus Sinkevičius, führte aus: „Wir verdanken unser Wohlbefinden und unseren hohen Lebensstandard den vielen nutzbringenden Chemikalien, die in den letzten 100 Jahren entwickelt wurden. Aber wir dürfen auch nicht die Augen vor den Risiken verschließen, die gefährliche Chemikalien für Umwelt und Gesundheit bergen. Die Chemikalienregulierung hat eine lange Tradition in der EU, und mit dieser Strategie möchten wir auf unseren Erfolgen aufbauen und darüber hinaus verhindern, dass die gefährlichsten Chemikalien in die Umwelt oder in den menschlichen Körper gelangen, denn dies kann vor allem für die Schutzbedürftigsten schwere Folgen haben.“
Die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides sagte: „Unsere Gesundheit sollte immer an erster Stelle stehen. Genau dafür haben wir mit der Chemikalienstrategie – einer Leitinitiative der Kommission – gesorgt. Chemikalien sind von großer Bedeutung für das Allgemeinwohl, und sie müssen sicher und nachhaltig hergestellt werden. Aber wir müssen auch vor den schädlichen Chemikalien, mit denen wir in Berührung kommen, geschützt werden. Die Strategie zeugt von unserem großen Engagement und unserer Entschlossenheit, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger überall in der EU zu schützen.“
Hintergrund
2018 war Europa der zweitgrößte Chemikalienhersteller (16,9 % des Umsatzes). Die Chemikalienproduktion ist der viertgrößte Industriezweig in der EU, in dem rund 1,2 Mio. Menschen direkt beschäftigt sind. 59 % der Produktion gehen unmittelbar an andere Sektoren, darunter das Gesundheitswesen und das Baugewerbe sowie die Automobil-, Elektronik- und Textilindustrie. Die weltweite Chemikalienproduktion wird sich bis 2030 voraussichtlich verdoppeln. Chemikalien werden bereits in großem Maßstab verwendet, und diese Tendenz dürfte auch bei Verbraucherprodukten noch zunehmen.
Die Rechtsvorschriften der EU über Chemikalien sind hochentwickelt und haben zu der weltweit fortschrittlichsten Wissensbasis über Chemikalien geführt. Auf ihrer Grundlage wurden auch wissenschaftliche Gremien eingesetzt, die die Risiko- und Gefahrenbewertungen von Chemikalien durchführen. Der EU ist es auch gelungen, die Gefahr für Mensch und Umwelt, die von bestimmten gefährlichen Chemikalien wie Karzinogenen ausgeht, zu verringern.
Die Chemikalienpolitik der EU muss aber noch weiter gestärkt werden, um den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Bedenken der Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen. Viele Chemikalien können die Umwelt und die menschliche Gesundheit auf Generationen hinaus schädigen. Sie können Ökosysteme beeinträchtigen und die Widerstandskraft des Menschen und seine Fähigkeit, auf Impfstoffe zu reagieren, schwächen. Studien über Human-Biomonitoring in der EU deuten darauf hin, dass im menschlichen Blut und Körpergewebe zunehmend unterschiedliche gefährliche Chemikalien enthalten sind, darunter bestimmte Pestizide, Biozide, Arzneimittel, Schwermetalle, Weichmacher und Flammschutzmittel. Die kombinierte Exposition gegenüber mehreren Chemikalien vor der Geburt hat ein geringeres Wachstum des ungeborenen Kindes und niedrigere Geburtenraten zur Folge.
Quelle: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_1839