EU-Chemikalienstrategie: Geleakter Entwurf zeigt Industrieeinfluss, Parlament verabschiedet Resolution
Dieser Artikel erschein zuerst in den EU-Umweltnews des Deutschen Naturschutzrings unter https://www.dnr.de/eu-koordination/eu-umweltnews/2020-chemie-nanotechnologie/chemikalienstrategie-geleakter-entwurf-zeigt-industrieeinfluss-parlament-verabschiedet-resolution/
Mit großer Mehrheit haben die Abgeordneten des EU-Parlaments vergangene Woche einen Bericht zur Chemikalienstrategie angenommen. Heute wurde klar: Innerhalb der EU-Kommission gibt es noch große Uneinigkeit zum Verhältnis zwischen Industrie- und Gesundheitsschutz.
Verschiedene Medien (Le Monde, Süddeutsche) berichteten am Donnerstag über den aktuellen Stand der Ressortabstimmung innerhalb der EU-Kommission zur Chemikalienstrategie. Demnach hätten die Beamt*innen der Generaldirektion Grow (Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU) Kritik an vielen Regulierungsvorschlägen und der Formulierung des Strategieentwurfs formuliert. So zeichne das von der Umweltdirektion erstellte Papier ein zu negatives Bild von den Gefahren, die von Chemikalien ausgehen, und rufe „unnötige Ängste“ hervor, so die Süddeutsche. Teile des Entwurf sollten einer „grundlegenden Überprüfung“ unterzogen werden, einen Regulierungsvorschlag von hormonell wirksamen Stoffen (endorkine Disruptoren, EDCs) lehne DG Grow ab. Jutta Paulus, EU-Abgeordnete der Fraktion der Grünen/EFA, bezeichnete die Kommentare der Direktion im Gespräch mit der Süddeutschen als „Verzögerungstaktik.“ Die von den Beamt*innen geforderten Prüfungen seien längst durchgeführt worden. Sie forderte die europäischen Chemieunternehmen auf, sich rechtzeitig auf die Suche nach alternativen umweltverträglichen Stoffen zu machen. „Wenn die europäische Industrie meint, wir brauchen das alles nicht, macht es ein anderer, und dann haben wir am Ende auch einen Wettbewerbsnachteil.“
Die Änderungswünsche von DG Grow spiegeln die von der Chemieindustrie vorgebrachten Einwände gegen einen besseren Schutz vor Chemikalien wider. Die Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) sieht in dem Dokument „klare Beweise dafür, dass DG Grow die Sicht der Industrie über das öffentliche Interesse stellt.“ In den vielen Kommentaren, Streichungen und Ergänzungen machten diese deutlich, dass die Chemikalienstrategie im Rahmen „industrieller Wettbewerbsfähigkeit“ betrachtet werden müsse. Dieser Versuch, den Vorschlag für eine ambitionierte Chemikalienpolitk abzuschwächen, ist laut CEO Teil eines größeren Problems der DG Grow, die immer wieder „als Cheerleader für die Industrie eintritt“ und „gesundheitliche, soziale oder ökologische Belange auf dem Altar der „Innovation“, der „Wettbewerbsfähigkeit“ und der Unternehmensgewinne opfert.“ Auch für die Auto-, Pharma- und Gig-Industrie habe sich die Generaldirektion in der Vergangenheit gegen die öffentlichen Interessen eingesetzt.
Erst vergangenen Freitag hatten 579 von 681 Parlamentarier*innen einer vom Umweltausschuss (ENVI) des Parlaments erarbeiteten Resolution zugestimmt. Darin fordern sie eine ambitionierte Strategie, die den Schutz der Gesundheit, insbesonderer gefährdeter Personengruppen, und der Umwelt vor gefährlichen Stoffen umfangreich gewährleistet und sowohl das Vorsorge- als auch das Verursacherprinzip konsequent widerspiegelt. Die EU-Kommission müsse den Bewertungsprozess vereinfachen, klare Kriterien für „nachhaltige Chemikalien“ entwickeln und sicherstellen, dass Schadstoffe nicht recycelt werden, so die Abgeordneten. Die Resolution enthält auch einen Vorschlag für die Aufnahme von EDCs als Beschränkungskriterium in die REACH-Verordnung. Auch ein Aktionsplan für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, die Regulierung von Stoffen, die in geringem Umfang verwendet werden, die Regulierung von Nanomaterialien, die Berücksichtigung von Kombinationseffekten von Stoffen und der Umgang mit persistenten Schadstoffen müssen nach Ansicht des Parlaments in der Strategie geregelt werden.
Die Ressortabstimmung innerhalb der EU-Kommission ist noch nicht beendet. Im Herbst soll die Strategie, die im Rahmen des Green Deal angekündigt wurde, veröffentlicht werden. [km]
Bericht der Süddeutschen Zeitung
Pressemitteilung von Corporate Europe Observatory