Warum REACH weiterentwickelt werden muss: Neue Erkenntnisse und mangelnde Durchsetzung

Eine Übernahme von ClientEarth

REACH: Europas Chemikalienregulierung unter Druck - Warum das Regelwerk dringend überarbeitet werden muss und welche Rolle Deutschland dabei spielt. Bisher unbeachtete wissenschaftliche Erkenntnisse, hohe Nichteinhaltung und politische Einflussnahme - die Zukunft von REACH steht auf dem Spiel.

Was ist REACH?

REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) ist eine europäische Verordnung, die seit 2007 die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe regelt. Unternehmen müssen ihre Chemikalien bei der ECHA (European Chemicals Agency) registrieren, bevor sie diese in der EU verkaufen dürfen. Jeder EU-Mitgliedsstaat hat die Aufgabe, die Einhaltung dieser Regeln sicherzustellen und eigene Kontrollsysteme und Gesetze zu etablieren.

Warum muss REACH weiterentwickelt werden?

REACH ist nicht formvollendet, REACH ist ein Regelwerk, das konstant verändert und angepasst werden muss - so schreibt es die Verordnung selbst vor. Warum?

  1. Erstens, weil bislang unbeachtete oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die schädlichen Wirkungen von Chemikalien oder deren Nutzungen in den Fokus rücken oder bekannt werden, die der Regulation bedürfen. Etwa werden im Kontext des globalen Plastikvertrags 13.000 Chemikalien diskutiert, die als Additive in Plastik vorkommen - viele von diesen mit gefährlichen Eigenschaften.

  2. Zweitens, weil die bisherigen Regelungen noch nicht gut genug funktionieren. Die Nichteinhaltung der REACH-Verpflichtungen ist heute noch sehr hoch, da sowohl die Kontrollen als auch die Sanktionen unzureichend und nicht EU-weit harmonisiert sind. Basierend auf einer Untersuchung von 2019 stellt der BUND nicht-konformes Verhalten von 654 Unternehmen, darunter die BASF SE, Dow Chemical, SABIC, Ineos und ExxonMobil fest. Besonders importierte Produkte sind Teil des Problems: In einer kürzlich von der ECHA durchgeführten Studie entsprachen 23% der geprüften, importierten Produkte nicht den REACH-Vorschriften. Ein Großteil der kritischen Chemikalien sind hierbei Weichmacher, die beispielsweise in Kinderspielzeug Verwendung finden.  Die Dunkelziffer der Rechtsverletzungen liegt vermutlich weitaus höher. Die Veröffentlichung des BUND schließt mit der Feststellung, dass die ECHA es in der Vergangenheit versäumt hat, den Grundsatz "Keine Daten, kein Markt" (Artikel 5 der REACH-Verordnung) anzuwenden. Die Vollständigkeitsprüfung vor der Marktzugangsberechtigung (Registrierung) ist gar nicht darauf ausgelegt, Chemikalien mit fehlenden Sicherheitsdaten zu stoppen. Auch die Überwachungsmaßnahmen durch die ECHA und die Mitgliedstaaten sind viel zu lückenbehaftet als dass die Konsument*innen sich darauf verlassen können.

  3. Drittens, weil REACH eine deutliche Verschärfung benötigt, wenn das Ziel eine “schadstofffreie Umwelt” ist, wie es die Chemiekalienstrategie für Nachhaltigkeit der Europäischen Kommission Mitte Oktober 2020 in Aussicht stellt. Zu den zentral geplanten Änderungen gehören hier neue Datenanforderungen an Unternehmen, um Informationen zu Chemikalien verfügbar zu machen. Zudem sollen die Befugnisse des Gesetzgebers für effektivere Eingriffe in die Vermarktung (Beschränkungen) ausgeweitet werden, wonach diese bereits dann möglich wären, wenn ein gefährlicher Stoff in einem Verbraucherprodukt vorhanden ist, woraus sich wegen der Freisetzungsmöglichkeiten im gesamten Lebensweg ein "generisches" Risiko ergibt. Geplant ist, ist die der dafür in Frage kommenden Stoffe zu erweitern.

Was passiert derzeit und welche Rolle spielt Deutschland?

Deutschland spielt eine wichtige Rolle in dieser Debatte. Gemessen am Umsatz steht Deutschland weltweit an vierter Stelle hinter den USA, Japan und China und ist damit Europas größte “Chemienation”.

Mit einer starken Chemieindustrie und Unternehmen wie BASF SE, Bayer AG und Fresenius SE, die von den EU-Regelungen betroffen sind, hat Deutschland einen erheblichen Einfluss.

  • BASF hat angekündigt, seine Aktivitäten in Europa aufgrund hoher Energiekosten und Umweltvorschriften zu reduzieren.

  • Interessant: Nach eigenen Angaben des Unternehmens waren “höhere Preise in nahezu allen Segmenten infolge gestiegener Rohstoff- und Energiepreise” wesentlich für das Umsatzwachstum des Konzerns.

  • Politiker*innen des mitte-rechten Spektrum im EU-Parlament reagierten darauf prompt und versuchen seither, die Verschärfung von REACH in die nächste Legislaturperiode zu verschieben, in welcher eine stärkere Mehrheit für rechts-konservative Parteien im EU Parlament prognostiziert wird. Das könnte die Verschärfung vollständig kippen.

Nach Angaben konservativer Abgeordneter im Europäischen Parlament ist die Überprüfung nun endgültig auf Eis gelegt worden. "Wir sind froh, dass es kein Datum für REACH gibt", sagte Peter Liese, deutscher Abgeordneter der Mitte-Rechts-orientierten Europäische Volkspartei (EVP), die in diesem Jahr im Parlament einen viel beachteten Kampf geführt - und verloren - hat, um das von der EU vorgeschlagene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zu verhindern. "Wir können dies dahingehend interpretieren, dass REACH nicht vor dem Ende dieses Mandats vorgelegt wird", sagte er am 4. Oktober 2023 bei einer Pressekonferenz vor Journalist*innen.

Ursprünglich war eine Überarbeitung der REACH-Verordnung für 2020 geplant, aber aufgrund von Schwierigkeiten in der Branche und der Ankündigung von BASF wurde diese auf Ende 2023 verschoben. Im Oktober 2023 hat die Europäische Kommission bestätigt, dass die versprochene Überarbeitung der REACH-Verordnung zur Chemikaliensicherheit in der aktuellen Wahlperiode nicht mehr erfolgt.

Die Zukunft von REACH ist ungewiss, aber eines ist klar: Die Notwendigkeit einer strengeren Regulierung chemischer Stoffe ist dringender denn je.

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