Ein Schritt in Richtung eines SAICM-Beyond-2020: IP4 in Bukarest

In der Woche vom 29. August bis 2. September 2022 fanden sich mehrere Hundert Personen in Bukarest zusammen, um gemeinsam an dem 4th meeting of the Intersessional Process (IP4) des Strategischen Ansatzes für ein internationales Chemikalienmanagement (Stategic Approach to International Chemicals Management, SAICM) teilzunehmen. Bedingt durch die Pandemie war dies das erste Präsenztreffen seit drei Jahren und damit eine zentrale Möglichkeit den Weg für ein neues internationales Rahmenwerk zu Minderung der Gefahren von Chemikalien für Mensch und Umwelt zu ebenen.

SAICM wurde 2006 als übergeordnetes Rahmenwerk geschaffen, um die großen Lücken der bestehenden Chemikalienkonventionen zu schließen und bis 2020 ein nachhaltiges Management von Chemikalien über den ganzen Lebenszyklus zu erhalten. Ein Ziel, das nicht erreicht wurde. Seit 2015 bereiten sich Staaten, Wissenschaft, Industrie, Zivilgesellschaft und weitere relevante Akteure darauf vor, ein Folgeabkommen zu schaffen. Der dafür geschaffene Intersessional Process stand im Kontext der Pandemie und den Reisebeschränkungen vor großen Herausforderungen. Im Winter 2020/2021 wurden virtuelle Arbeitsgruppen (Virtual Working Groups, VWGs) zu vier Themenfeldern eingerichtet. Auf der IP4 wurden die Ergebnisse der bisherigen Arbeit der IP3, sowie die Ergebnisse der VWGs diskutiert und versucht, die verschiedenen Vorschläge zusammenzuführen und Textvorschläge für die kommende International Conference on Chemicals Management 5 (ICCM5) vorzubereiten.

In ihrem Eröffnungsstatement betonte Dr. Anita Breyer, Präsidentin der ICCM5, die Verknüpfung der drei Umweltkrisen: Verschmutzungs-, Klima- und Biodiversitätskrise und sie sich diese Krisen und ihre Folgen durch die Pandemie weiter verschärft haben. Um die SDGS zu erreichen, aber auch, um die bestehenden Lücken im Chemikalienmanagement zu schließen, brauche es ein SAICM-Beyond-2020, das weiter geht als die Ambitionen des SAICM 1.0, so Breyer. Zusätzlich betonte Dr. Anita Breyer, dass das Folgeabkommen in einer klaren Sprache formuliert sein müsse, sodass es bei allen einfach verstanden werden kann. Dieser Ansatz, sowie der von den IP4 Co-Chairs Kay Williams und Judith Torres formulierte Anspruch, bis zum Ende der Woche, ein gecleartes Dokument, das als Grundlage für die ICCM5 gilt, schufen einen hohen Druck und Zeit gleich viel Diskussionsbedarf.

Schon früh wurde aber deutlich, dass auf der IP4 nicht mit einer gemeinsamen Grundlage gestartet wird. Da die Ergebnisse aus Virtuellen Arbeitsgruppen (Virtual Working Groups, VWGs), die im Winter 2020/21 durchgeführt wurden, nicht von allen Staaten und Stakeholdern anerkannt wurden. Insbesondere die Afrikanische Region kritisierte, dass aufgrund der technischen Einschränkungen, aber auch der Zeitverschiebung keine gleiche und faire Partizipation möglich war. An vielen Punkten im Verlauf der Verhandlung, dienten die Ergebnisse der VWGs dennoch als Vorschläge für den neuen Text.

Alle Eröffnungsstatements finden sich hier.

Diskussion

Die Diskussionen rund um den Text wurden in drei verschiedenen Arbeitsgruppen geführt:

  1. Vision, Scope, principles and approaches, strategic objectives, and targets

  2. Institutional arrangement, the linkages with the future Science Policy Panel and issues of concern and mechanisms to support implementation

  3. Implementing measures including Capacity Building and financial Considerations

Als Diskussionsgrundlage diente sowohl der Diskussionsstand und die Ergebnisse der IP3, die 2019 in Bangkok stattfand, als auch die Ergebnisse der VWGs. Das Bureau hat für den besseren Überblick ein Dokument erstellt, in dem die verschiedenen Diskussionsstände tabellarisch gesammelt und gegenübergestellt wurden. Zusätzlich brachte auch das Inter-Organization Programme for the Sound Management of Chemicals (IOMC) eigene größere Vorschläge ein, die als Grundlage für Diskussionen an einzelnen Punkten genutzt wurden. So wurde bspw. der IOMC Vorschlag zu den Strategic Objectives übernommen und daran weiter diskutiert.

Auch wenn die Zusammenstellung durch das Büro half, den bisherigen Verhandlungsprozess für ein SAICM-Beyond-2020 besser zu überblicken und klar zu identifizieren zu welchem Zeitpunkt – also zur IP3 oder in den VWGs – ein Vorschlag aufkam, so war von vornherein nicht klar, was nun die Diskussionsgrundlage bildet. Wie schon beschrieben, hat sich explizit die Afrikanische Region dafür starkgemacht, die Ergebnisse der VWGs nicht als Grundlage zu nutzen. Zusätzlich wurden umfangreiche, gänzlich neue Vorschläge durch die IOMC eingebracht. Dies und an vielen Teil kein klar definiertes Vorgehen, zogen die Diskussionen besonders an den ersten beiden Tagen in die Länge und fokussierten sich eher auf das Prozedere, denn auf den Inhalt.

Themengruppe 1 - Vision, Scope, principles and approaches, strategic objectives, and targets

Der Schwerpunkt in dieser Gruppe lag auf den Strategic Objectives und den Targets – den übergeordneten und den konkreten Zielen. Aus NGO-Perspektive ist es elementar, konkrete und messbare Ziele und Meilensteine zu haben, die darauf abziehen, den durch Chemikalien und Abfall verursachten Schaden zu minimieren oder zu eliminieren. Die Strategic Objectives wurden vollständig durch einen Vorschlag der IOMC ersetzt. Diese übergeordneten Ziele waren geclustert in:

  • Strategic Objective A: Kapazitätsaufbau

  • Strategic Objective B: Wissen und Datenverfügbarkeit

  • Strategic Objective C: Issues of Concern (priorisierte Themen in SAICM)

  • Strategic Objective D: Sichere Alternativen und Innovationen

  • Strategic Objective E: Integration in relevante Entscheidungsprozesse

Der Hauptkonflikt in der Diskussion drehte sich um die Ausführlichkeit dieser Oberziele. Die EU und andere Staaten plädierten dafür, diese Formulierungen kurz und prägnant zu halten. D.h., auch Ergänzungen und Klammern sollten vollständig herausgenommen werden. Im weiteren Verlauf der Arbeitsgruppe wurde sich darauf verständigt, einen Einführungstext zu erstellen, in dem Ergänzungen zu den Strategic Objectives enthalten sind. Vor allem die Zivilgesellschaft argumentierte gegen eine Kürzung der Oberziele, da dies dazuführe, dass die Oberziele nicht mehr verständlich und präzise genug seien. Damit alle gemachten Anmerkungen nicht verloren gehen, wurde ein Arbeitsdokument angelegt und Kommentare und Hinweise dort gesammelt. Nachdem diese Oberziele diskutiert und sich darauf geeinigt wurde, begangen die Diskussionen um die konkreten Ziele unter den Strategic Objectives. Auf der Website von SAICM findet sich da Abschlussdokument der IP4 in Bukarest, in dem verhandelten Ziele gelistet sind. Besondere Erfolge aus NGO Perspektive sind hier:

  • Der Erhalt des Verhaltenskodex (Code of Conduct) im Umgang mit Chemikalien und Müll

  • Ein Target zielt auf die Einrichtung von Gesetzen und Initiativen, um nicht-chemische Alternativen zu fördern, wie Agrarökologie

  • Das Jahr 2030 als Ausstiegszeitpunkt für die Nutzung von hochgefährlichen Pestiziden in der Landwirtschaft. (siehe hier auch PAN-Germany)

  • Viele Ziele, die explizit den Zugang zu Informationen und die Implementierung einer globalen Kennzeichnungspflicht fokussieren (siehe hier auch HEJ-Support)

  • Abschaffung von Doppelten Standards: alle Länder sollen sich dafür einsetzen, dass bei ihnen verbotene Substanzen nicht mehr exportiert werden

  • Internalisierung von Kosten

  • Implementierung eines nachhaltigen und soliden Chemikalienmanagements auf allen Ebenen und in lokalen, nationalen und regionalen Strategien

Darüber hinaus schafften es zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften deutlich zu machen, dass die Belastung mit Chemikalien von Faktoren, wie Gender, Alter, Arbeit(splatz) oder Herkunft abhängt. Es wurde deutlich gemacht, dass verschiedene Gruppen Teil der Entscheidungsprozesse sein müssen und auch in einem SAICM-Beyond-2020 nicht nur als Betroffene, sondern als Agents of Chance aktiv einbezogen werden müssen.

Themengruppe 2 - Institutional arrangement, the linkages with the future Science Policy Panel and issues of concern and mechanisms to support implementation

Diese Arbeitsgruppe hat gute Fortschritte im Zeitraum der IP4 in Bukarest gemacht. Auch hier ist wieder rauszustellen, dass besondere Betroffenheit aufgrund von Arbeitsplatz oder Gender im Text als übergeordnetes Thema angebracht wurden und aufgenommen werden, auch wenn die konkrete Stelle unklar ist. Trotzdem ist dies ein wichtiger Erfolg, um die unterschiedliche Betroffenheit sichtbar zu machen. Bezüglich der Issues of Concern, also den besonderen Fokusthemen in SAICM wurden Kriterien diskutiert, wie künftige Issues of Concern aufgenommen werden können. Leider reichte die Diskussion jedoch nicht so weit, als dass schon neue und aktuelle Probleme diskutiert wurden, die in einem künftigen SAICM adressiert werden. Aller Voraussicht nach, werden die bisherigen acht Issues of Concern (Blei in Farben, Chemikalien in Produkten, gefährliche Stoffe in Elektronikprodukten, Nanotechnology, Endokrine Disruptoren, Arzneimittel in der Umwelt, Hochgefährliche Pestizide und Perfluorierte Chemikalien) in das künftige Rahmenwerk übernommen. Keines der Probleme ist bisher ausreichend gelöst, sodass eine weitere Arbeit notwendig. Dafür haben sich NGOs immer wieder starkgemacht.

Themengruppe 3 - Implementing measures including Capacity Building and financial Considerations

Die Diskussionen um die Finanzierung sind maßgeblich durch den Konflikt zwischen Geberländern und Empfängerländer geprägt. Die Geberländer argumentieren, dass sie bereits Gelder geben. Die meist im globalen Süden gelegenen Empfängerländer weisen hingegen immer wieder darauf hin, dass die Menge nicht ausreicht. Und beide haben recht. Denn auch, wenn die finanziellen Ressourcen in den letzten Jahren allmählich gestiegen sind, so reichen diese immer noch nicht aus. Bisher haben diese Diskussionen aber zwei Kernelemente für eine künftige Finanzierung außer Acht gelassen: Das Polluter pays Principle (Verursacherprinzip) und dass die wachsende chemische Industrie im Allgemeinen stärker in die Verantwortung genommen wird

Auf der IP4 wurde der Finanzdiskussion das erste Mal die praktische Einbeziehung der chemischen Industrie in die Finanzierung erörtert. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch einen Vorschlag, den die Afrikanische Region machte: die Einführung einer Steuer auf den Umsatz mit Grundchemikalien. Einen solchen Ansatz haben bereits die NGOs CIEL und IPEN erarbeitet. Nur dass der zivilgesellschaftliche Vorschlag eine Steuerhöhe von 0,5% und der Vorschlag der Afrikanischen Region 0,05% beinhaltete. Um den Vorschlag intensiver zu diskutieren, gab es eine informelle Diskussionsrunde. Iran, Norwegen, die USA und Kanada unterstützen den Vorschlag. Die GRULAC Region (Group of Latein American Countries) hatten noch keine Position. Innerhalb der EU gab es keine Einigung und die EU sah die Umsetzung als schwierig an.

Auch wenn die Diskussion, eine Steuer auf Grundchemikalien als Finanzierungsmechanismus zu implementieren, nicht erfolgreich abgeschlossen ist, so ist die Diskussion um die Internalisierung von Kosten trotzdem extrem wichtig. Außerdem könnte eine solche Umsetzung des Polluter Pays Principle ein Präzedenzfall für internationale Rahmenwerke und Konventionen schaffen. Denn die Finanzierung ist immer ein wichtiger und meist auch entscheidender Diskussionspunkt.

Beteiligung der Zivilgesellschaft

Die Besonderheit und eine Stärke von SAICM war immer der Multi-sektorale sowie der Multi-Stakeholder-Ansatz. Alle Stakeholder können gleichberechtigt mitreden und mitdiskutieren. Dadurch kommen nicht nur alle Akteur*innen zusammen, die an einer effektiven Umsetzung des Chemikalienmanagements beteiligt sind, sondern auch eine gesammelte Expertise. Insbesondere IPEN und seine Mitglieder begleiten den SAICM-Prozess seit der Entstehung im Jahr 2002. Viele NGOs führen Fallstudien durch und sind in lokalen Gemeinschaften verankert, wodurch sie die Probleme genaustens kennen und beschreiben können. Dies macht explizit die NGOs, ihre Vertreter*innen und das gebündelte Wissen zu einem wichtigen und unersetzbaren Teil der Verhandlungen.

In Bukarest hat sich gezeigt, wie wichtig dies ist. Viele Staaten haben sich mit der Zivilgesellschaft ausgetauscht und explizit das Fachwissen zu Themen wie Hochgefährliche Pestizide, Finanzierung und Transparenzanforderungen einbezogen. Auch wurden immer wieder Ziele und Argumente aus der Zivilgesellschaft von den staatlichen Delegierten unterstützt.

Wie geht es weiter

Nach über zwei Jahren Pandemie und verschiedenen Online-Formaten war die IP4 das erste Präsenztreffen seit der IP3 in Bangkok 2019. Das Ziel ein Dokument ohne Klammern zu haben und möglichst ohne strittige Punkte wurde nicht erreicht. Vermutlich war dies zu ambitioniert nach solch einer langen Pause und keinem Konsens darauf bezogen, was eigentlich die Basis für die weiteren Verhandlungen ist. Dennoch wurde auf der IP4 einiges an Fortschritt geschafft.

Zum Abschluss der IP4 wurde bekannt gegeben, dass es im Februar kommenden Jahres ein Folgetreffen geben wird. Dies ist nötig, um weiterzuverhandeln und den Text für ein SAICM-Beyond-2020-Instrument zu finalisieren. Nur so kann auf der ICCM5, die vom 25. - 29. September 2023 in Bonn stattfinden wird, ein endgültiges Dokument verabschiedet werden. Bis dahin gibt es aber noch einiges zu tun, insbesondere müssen wir uns dafür starkmachen, dass das SAICM-Beyond-2020-Instrument so ausgestaltet ist, dass es die bestehenden Herausforderungen der Produktion und Nutzung von Chemikalien bewältigen kann. Dafür brauchen wir klare, ambitionierte und weitreichende Ziele und keinen leeren Worthülsen. Neben einem breit angelegten Geltungsbereich ist aber vor allem eine sichere und ausreichende Finanzierung dafür nötig. 

Einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen finden Sie hier.

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