Brüssels gewagte Vision: Null Schadstoffe in Gewässern, Böden und Luft

Eine Übernahme von EU-Umweltnews

Eine giftfreie Umwelt bis 2050 setzt sich die EU-Kommission in ihrem neuen Aktionsplan „Null-Verschmutzung“ zum Ziel. Umweltschützer:innen vermissen den Ehrgeiz.

Mit Etappenzielen bis 2030 zur Vision 2050

Der am Mittwoch veröffentlichte Aktionsplan enthält Zielvorgaben für 2030 und Maßnahmen, die dazu führen sollen, die Umweltverschmutzung durch Schadstoffe in der EU deutlich zu verringern.

So solle die Luftqualität verbessert werden, um die Zahl der durch Schadstoffe in der Luft verursachten vorzeitigen Todesfälle um 55 Prozent zu verringern. Ebenso solle die Wasserqualität verbessert werden, „indem dafür gesorgt wird, dass weniger Kunststoffabfälle ins Meer (50 Prozent) und weniger Mikroplastik in die Umwelt (30 Prozent) gelangen“. Die Böden in der EU sollen besser geschützt werden, „indem Nährstoffverluste und der Einsatz chemischer Pestizide um 50 Prozent reduziert werden“. Zudem verspricht die Kommission eine „Verringerung des Anteils der Ökosysteme in der EU, in denen Schadstoffe in der Luft die biologische Vielfalt gefährden“. Auch wolle Brüssel stärker gegen Verkehrslärm vorgehen, denn viele Menschen litten unter chronischen Belastungen, die durch Lärm von Autos, Güterzügen oder Flugzeugen verursacht würden. Überdies solle das Abfallaufkommen insgesamt sowie Restmüll um 50 Prozent verringert werden.

Um diese Ziele zu erreichen, schlägt Brüssel folgende Leitinitiativen und Maßnahmen vor:

  • Engere Angleichung der Luftqualitätsnormen an die jüngsten Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation;

  • Überprüfung der Vorschriften für die Wasserqualität, auch von Flüssen und Meeren in der EU;

  • Reduzierung der Schadstoffbelastung im Boden und Förderung der Wiederherstellung;

  • Überprüfung eines Großteils des EU-Abfallrechts, um die Grundsätze der sauberen Kreislaufwirtschaft in die Vorschriften einzubinden;

  • Förderung der Null-Schadstoffbelastung durch Produktion und Verbrauch;

  • Einrichtung eines Scoreboards der Umweltleistung der EU-Regionen, um das Null-Schadstoff-Ziel in allen Regionen zu fördern;

  • Verringerung gesundheitlicher Benachteiligungen durch den zurzeit unverhältnismäßig hohen Anteil an schädlichen Gesundheitsauswirkungen bei den schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen;

  • Verringerung des externen ökologischen Fußabdrucks der EU durch Beschränkungen der Ausfuhr von Produkten und Abfällen in Drittländer, die schädliche bzw. toxische Auswirkungen haben;

  • Einrichtung so genannter „Living Labs“ für grüne digitale und intelligente Null-Schadstoff-Lösungen;

  • Konsolidierung der EU-Wissenszentren für Null-Schadstoffemissionen und Einrichtung einer Null-Schadstoff-Plattform für Interessenträger;

  • Verstärkung der Durchsetzung von Null-Schadstoff-Bestimmungen mit Umwelt- und anderen Behörden.

Die im Aktionsplan aufgeführten Maßnahmen sollen bestehende Initiativen des Green Deal ergänzen, darunter auch die Strategie für einen nachhaltigen Umgang mit Chemikalien. Es sei „höchste Zeit“, die Handlungspyramide im Umgang mit Schadstoffen auf den Kopf zu stellen: Statt sich auf die Beseitigung von Verschmutzungen zu konzentrieren, müsse sie von vornherein vermieden werden. Dafür müsse das in den EU-Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip konsequenter angewendet werden.

Umweltschützer:innen: wenig Neues im Aktionsplan

Nach Einschätzung des europäischen Umweltdachverbands Europäisches Umweltbüro (EEB) greift der Vorschlag zu kurz, wenn es darum geht, überzeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschmutzung an der Quelle zu ergreifen. Stattdessen würden hauptsächlich bestehende rechtliche Verpflichtungen und laufende Überprüfungen von EU-Vorschriften aufgeführt.

So habe die Kommission die Chance verpasst, den Kampf gegen die Luftverschmutzung mit konkreten Maßnahmen zu verstärken und der Luftqualität die Bedeutung zu geben, die sie im Grünen Deal verdiene. Zwar sei das EEB froh, dass die Kommission die rechtliche Überprüfung der EU-Wassergesetzgebung bestätigt habe. Diese Aktualisierungen müssten jedoch mit der Vision der Nullverschmutzung übereinstimmen. Auch befürworte das EEB, dass die Kommission die Bedeutung des Vorsorgeprinzips und des Verursacherprinzips hervorhebe. Bislang gebe es jedoch wenig bis gar keine Maßnahmen zur tatsächlichen Anwendung dieser Prinzipien. Es sehe so aus, als würden die Verursacher zumindest im nächsten Jahrzehnt immer noch nicht zahlen.

Das EEB hatte bereits am Dienstag ein umfangreiches Positionspapier zum Nullschadstoff-Aktionsplan veröffentlicht. Darin heißt es, dass es „in unser aller Interesse“ liege, eine Verpflichtung zur Nullverschmutzung in allen politischen und legislativen Vorschlägen sowie in der Finanzierung zu verankern.

Auch die Umweltrechtsorganisation Client Earth äußerte sich enttäuscht. Ugo Taddei von Client Earth kritisierte: „Das 2030-Ziel für die Luftverschmutzung im Plan lässt uns im Grunde genau dort, wo wir sind, wenn die Politiken, die im Moment vorhanden sind, vollständig umgesetzt werden. Es ist nichts anderes als die aktuelle Ambition, neu verpackt.“

Nach Auffassung von Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im EU-Parlament und Berichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion für Luftqualität und die Chemiewende, sei der Aktionsplan an den entscheidenden Stellen ein „Papiertiger“. Die EU-Kommission bleibe hinter den Erwartungen des Parlaments zurück, das sich klar für eine saubere Umwelt in Europa, für schnellere Vertragsverletzungsverfahren und für ein Ende des Gifts in unserem alltäglichen Leben positioniert habe.

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Mitglied im Umweltausschuss und der grüne Berichterstatter für den Null-Schadstoff-Aktionsplan ergänzte: „Die Nullverschmutzungsziele für 2030 sind zwar begrüßenswert, basieren aber größtenteils auf bereits rechtlich vereinbarten oder kürzlich angekündigten Zielen.“ Für Wasser und Luft gebe es schon EU-Vorschriften. Nur würden die Mitgliedstaaten immer wieder gegen Grenzwerte für Luftqualität oder gegen Wasserqualitätsnormen verstoßen. Die Kommission müsste EU-Rechtsverstöße konsequenter sanktionieren.

Redakteurin: Ann Wehmeyer

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