Opposition fordert Stopp gefährlicher Exporte von Pestiziden

Berlin: (hib/EIS) Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben einen gemeinsamen Antrag (19/23988) zum Stopp gefährlicher Pestizidexporte vorgelegt. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung unter anderem dazu auf, eine Verordnung auf Grundlage des Pflanzenschutzgesetzes zu erlassen, die den Export von Pestiziden untersagt, die in der EU oder in Deutschland aufgrund von Umwelt- und Gesundheitsrisiken über keine Zulassung verfügen. Für bereits produzierte Wirkstoffe soll eine Übergangsfrist von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung gelten.

Wir dokumentieren hier die sehr informative Begründung des Antrags

Der globale Pestizideinsatz ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gestiegen,[1] was vor allem durch wachsende Anwendungsmengen in Ländern des Globalen Südens zu erklären ist. Der Weltmarkt für sogenannte Pflanzenschutzmittel hatte 2019 ein Volumen von rund 36 Milliarden US-Dollar. Hinter China und gleichauf mit den USA ist Deutschland mit einem Exportvolumen im Wert von rund 4 Milliarden US-Dollar der zweitgrößte Pestizidexporteur weltweit.[2] BASF und der Bayer-Konzern zählen zu den fünf größten Pestizidherstellern weltweit.

Eine Studie der Schweizer NGO Public Eye und Unearthed, dem Investigativjournalismus-Team von Greenpeace International,[3] hat offengelegt, dass im Jahr 2018 die fünf führenden Agrochemiekonzerne Bayer, BASF, Syngenta, Corteva und FMC ein Drittel ihrer Pestizidumsätze (4,8 Mrd. USD) mit dem Verkauf von für Mensch oder Umwelt hochgiftigen Substanzen erzielten. Die wichtigsten Absatzmärkte hierfür waren Entwicklungs- und Schwellenländer mit schwächeren Regulierungen und höheren Risiken für die Bevölkerung.

Von den insgesamt 233 im Jahr 2017 aus Deutschland ausgeführten Pestizidwirkstoffen werden 62 vom Pesticide Action Network (PAN) als hochgefährlich für Gesundheit und Umwelt (HHPs auf Basis von Kriterien von FAO und Weltgesundheitsorganisation) eingestuft, 21 der exportierten Wirkstoffe waren zu diesem Zeitpunkt in Deutschland nicht zugelassen.[4]

Die Marktzulassung für Pestizidwirkstoffe und Pestizidformulierungen in der EU, Deutschland und in vielen Drittstaaten beruht auf der Annahme, der Einsatz berge bei vorschriftsgemäßer Anwendung keine inakzeptablen Risiken für Mensch und Umwelt. Diese Annahme hat sich bereits in der EU bei vielen Wirkstoffen wie DDT, Atrazin und Neonikotinoiden als falsch herausgestellt. Auch die realen Anwendungsbedingungen für Pestizide insbesondere in Ländern des globalen Südens widersprechen der Vermutung einer möglichen sicheren Nutzung insbesondere von hochgefährlichen Pestiziden.[5]

Dennoch dürfen hochtoxische Mittel mit Wirkstoffen, die in Deutschland und der EU verboten oder nicht zugelassen sind, weiter exportiert werden, solange ihr Einsatz rechtlich im Empfängerland legal ist. In Deutschland ist das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf Basis von § 25 Absatz 3 Satz 2 unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt, zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Menschen und Umwelt die Ausfuhr hochgefährlicher Pestizide in Drittstaaten außerhalb der EU zu untersagen. Der vorliegende Antrag räumt den Herstellern eine Übergangsfrist von sechs Monaten zum Abverkauf ein. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages[6] kommt zu dem Schluss, dass eine solche Verordnung eine Inhalts- und Schrankenbestimmung und keine Enteignung darstellen dürfte, da mit der Implementierung von Übergangsregelungen für Ausfuhrbeschränkungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe. Im vorliegenden Fall dürfte darüber hinaus die Schutzwürdigkeit der Grundrechtsträger deshalb schwächer ausfallen, da die Ermächtigungs-grundlage für ein Exportverbot seit langer Zeit bereits im Pflanzenschutzgesetz verankert ist.

Mit einem solchen Exportverbot würde die Bundesregierung ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gemäß der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nachkommen. Darüber hinaus bedarf es einer gesetzlichen Regulierung, die Unternehmen grundsätzlich dazu verpflichtet, umwelt- und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette umzusetzen (vgl. Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 19/16061 und Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/15777). Die Unternehmensverantwortung in der Wertschöpfungskette gilt also nicht nur für die Produktionsprozesse, sondern – insbesondere bei potentiell gefährlichen Produkten wie Chemikalien auch den Vertrieb bzw. den Verbleib der Produkte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Chemieindustrie zu den Sektoren mit einem besonders hohen menschenrechtlichen Risiko zählt. Konkret würde die Sorgfaltspflicht in diesem Kontext für die nicht vom Exportverbot betroffenen Pestizide bedeuten, dass die produzierenden Unternehmen durch Risikoanalysen und ein wirksames Monitoring die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen des Pestizidverkaufs vor Ort untersuchen müssten und bei einer Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten von den Geschädigten vor deutschen Gerichten haftbar gemacht werden könnten. Zudem würden so wirksame staatliche Sanktionsmöglichkeiten für die Verletzung internationaler Abkommen bei der Ausfuhr, Lagerung und Entsorgung geschaffen, insbesondere in Bezug auf den Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

Dies ist besonders wichtig angesichts der Realität, dass entgegen der Herstelleraussagen zur „sicheren Handhabung“ ein sicherer bzw. sachgemäßer Einsatz einiger Pestizide in vielen Ländern des Globalen Südens de facto bislang nicht gewährleistet ist. Neben der FAO kommen auch diverse aktuelle Länderanalysen zu Kenia, Südafrika und Brasilien, wie z.B. der Organisationen Route to Food, Inkota, Misereor und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu ähnlichen Ergebnisse bezüglich verbreiteter Missstände beim Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie hin-sichtlich des hohen Anteils von gefährlichen Pestiziden und von Produkten ohne EU-Zulassung.[7] In einigen Ländern betreffen die steigenden Pestizideinsätze auch eine wachsende Zahl an Kindern, die zur Feld- und Plantagenarbeit herangezogen werden. Dies ergab beispielsweise eine Studie zum Kakaoanbau in Ghana. Dort hat sich die Zahl der Kinder, die durch ihre Arbeit Agrochemikalien direkt ausgesetzt sind, in nur zehn Jahren verfünffacht.[8]

Pestizide haben auch längst weltweit große Teile der Böden und Gewässer verunreinigt. So wurden beispielsweise in Brasilien Rückstände von Atrazin, einem als hormonverändernd und fortpflanzungsgefährdend eingestuften Herbizid, sowie diversen anderen HHPs im Grundwasser bei 85% der getesteten Wasserproben nachgewiesen. In vielen Fällen lagen die Werte um ein Vielfaches über dem WHO-Höchstwert für Wasserqualität.[9]

Aufgrund dieser Gefahren für Mensch und Umwelt empfahl der FAO Council 2006, in das FAO-Konzept der Risikoreduzierung ein schrittweises Verbot hochgefährlicher Pestizide aufzunehmen. Dennoch werden bis heute nur wenige HHPs über internationale Konventionen verbindlich reguliert. Dazu zählen das Stockholmer Übereinkommen (POP-Konvention) mit völkerrechtlich bindenden Verbots- und Beschränkungsmaßnahmen für bestimmte langlebige organische Schadstoffe und das Rotterdamer Übereinkommen (PIC-Konvention), ein völkerrechtlicher Vertrag zur Chemikaliensicherheit im internationalen Handel mit Gefahrstoffen.

2008 veröffentlichte das gemeinsame Pestizid-Beratungs-Gremium von FAO und WHO „Joint Meeting on Pesticide Management“ (JMPM) erstmals Kriterien zur Identifizierung hochgefährlicher Pestizide.

Die Rahmenvereinbarung für nachhaltiges Chemikalienmanagement SAICM (Strategic Approach to International Chemicals Management) erkannte 2015 die besondere Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Umwelt durch HHPs als „Issue of Concern“ an und verwies dabei insbesondere auf die Gefahren in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Konkrete Schritte hinsichtlich einer strengeren internationalen Regulierung lassen allerdings auf sich warten. Unter dem Internationalen Verhaltenskodex für Pestizidmanagement veröffentlichten 2016 FAO und WHO gemeinsam Leitlinien für hochgefährliche Pestizide, die u.a. acht Kriterien zur Identifizierung von HHPs definieren. Die Leitlinien ergänzen den Verhaltenskodex und sollen Ländern dabei helfen, die Artikel mit HHP-Bezug effektiv zu interpretieren und anzuwenden, um die von HHPs ausgehenden Risiken zu verringern. All diese Vereinbarungen sollen dazu beitragen, die von Chemikalien bzw. Pestiziden ausgehenden Risiken für Gesundheit und Umwelt zu minimieren. Jedoch reichen die bestehenden Regelwerke nicht aus, um Vergiftungen von Mensch und Natur tatsächlich einzudämmen. Dies liegt u.a. daran, dass es zwar nationale Zulassungen und Anwendungsvorgaben gibt, diese aber häufig sehr großzügig ausgelegt oder nicht durchgesetzt werden. Nicht einmal 4 Prozent der weltweit eingesetzten und gehandelten Pestizide sind rechtlich verpflichtend über internationale Konventionen reguliert.

Neben den negativen Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ist die Abhängigkeit gerade klein-bäuerlicher Betriebe von teuren Betriebsmitteln wie Pestiziden und patentiertem Saatgut besonders problematisch: Armut kann sich verfestigen, Schuldenfallen drohen, die Menschen aus Existenznot bis in den Suizid treiben.[10]

Diverse Studien, Projekte sowie internationale Berichte von Agrarexpertinnen und Experten wie der TAB-Bericht zur „Forschung zur Lösung des Welternährungsproblems“ und der Weltagrarbericht zeigen zudem bereits seit vielen Jahren, dass auch mit agrarökologischen Methoden unter weitgehendem Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide eine gesunde Ernährung der Weltbevölkerung auch in Zukunft voraussichtlich möglich ist und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern durch erhebliche Ertragssteigerungen, eine Erholung von Böden und Wasserressourcen sowie eine verbesserte Ernährungssituation davon besonders profitieren.[11]

Der damalige Sonderberichterstatter der der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter veröffentlichte 2011 einen umfassenden Bericht zu Potentialen der Agrarökologie, wonach in Afrika eine Verdoppelung von Erträgen in nur 10 Jahren bei gleichzeitiger Abfederung der Folgen der Klimakrise möglich ist.[12]

Die EU-Kommission hat sich in ihrer aktuellen Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork) das Ziel einer Halbierung des Pestizideinsatzes und dessen Risiken sowie die Substitution von besonders gefährlichen Pestiziden gesetzt, um u.a. der Abhängigkeit von Pestiziden und dem Rückgang an Biodiversität entgegenzuwirken. Dafür sollen präventive Pflanzenschutzmaßnahmen wie Fruchtfolgen und mechanische Beikrautregulierung sowie der Ökolandbau gestärkt werden.

Die „Farm to Fork“-Strategie sieht zudem Änderungen an der Pflanzenschutzmittelverordnung hinsichtlich der Pestizidstatistiken vor, um Datenlücken zu schließen. Dies bietet die Chance, auch bei Pestizidexporten zu einer besseren Datengrundlage zu kommen.

Temporäre Ausnahmen für nicht zugelassene Pestizide „zur Bekämpfung einer ernsten, nicht durch andere verfügbare Mittel einschließlich nichtchemischer Methoden abzuwehrenden Gefahr für die Pflanzengesundheit“ sind über die EU-Pestizidverordnung geregelt (Art. 4, Absatz 7).[13] Eine entsprechende eng begrenzte Ausnahmeklausel für akute Großkalamitäten ist auch in der Verordnung für nationale Exportverbote bei Pestizidwirkstoffen ohne EU-Zulassung vorzusehen, um Katastrophensituationen wie z.B. der aktuellen Wanderheuschreckenplage, die die Ernährungssicherheit in großen Gebieten Ostafrikas, der arabischen Halbinsel und Südasiens bedroht, gerecht zu werden.

Zur akuten Bekämpfung solch seltener Großkalamitäten sind geeignete Pestizide als letztes Reservemittel vorzuhalten. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit und Möglichkeit, die Abhängigkeit von Pestiziden beim regulären Pflanzenschutz durch Stärkung wirksamer agrarökologischer und nichtchemischer Ansätze deutlich zu verringern und den Ausstieg aus besonders gefährlichen Wirkstoffen bzw. Formulierungen zu forcieren, um Gesundheits- und Umweltschäden vorzubeugen.

Künftig müssen präventive Maßnahmen wie die Stärkung bestehender Überwachungs- und Frühwarnsysteme etwa im Rahmen der FAO bezüglich der Entwicklung der Heuschreckenpopulationen ausgebaut und durch die internationale Gemeinschaft finanziell besser ausgestattet werden. Zudem müssen bestehende Forschungsansätze wie die Bekämpfung der Schadinsekten mit alternativen Mitteln wie Mikroorganismen, Pilzen und Pheromonen stärker gefördert und in der Praxis erprobt werden.


[1] Vgl. Bericht „Gefährliche Pestizide von Bayer und BASF“ S. 3 unter https://webshop.in-kota.de/node/1605

[2] http://www.worldstopexports.com/top-pesticides-exporters/

[3] Public Eye und Unearthed (2020): Milliarden-Umsätze mit Pestiziden, die krebserregend sind oder Bienen vergiften https://www.publiceye.ch/de/mediencorner/medienmitteilungen/detail/agrochemiekonzerne-ma-chen-milliarden-umsaetze-mit-pestiziden-die-krebserregend-sind-oder-bienen-vergiften

[4] https://pan-germany.org/download/giftige-exporte-ausfuhr-hochgefaehrlicher-pestizide-von-deutsch-land-in-die-welt

[5] Terwindt, C., Morrison, S. und C. Schliemann (2018): Health Rights Impacts by Agrochemical Business: Legally challenging the “Myth of Safe Use”. In: Utrecht Journal of International and European Law, 34 (2). Online unter: https://ogy.de/mh63

[6] WD 5 – 3000 – 015/20; www.bundestag.de/re-source/blob/689790/5d86d62bff8866bae6864f2d8ea2b977/WD-5-015-20-pdf-data.pdf
WD 5 – 3000 – 034/20; http://www.bundestag.de/re-source/blob/691754/3e423bcac4ef681b362eb60913a2ebc8/WD-5-034-20-pdf-data.pdf

[7] Vgl. https://routetofood.org/wp-content/uploads/2019/08/RTFI-White-Paper-Pesticides-in-Kenya.pdf und https://webshop.inkota.de/node/1605.

[8] https://www.spiegel.de/wirtschaft/die-schokoladenindustrie-ist-bei-der-bekaempfung-von-kinderarbeit-gescheitert-a-2dc09cf5-a759-49de-91fe-fc40f2232fab

[9] https://www.publiceye.ch/de/themen/pestizide/lukrative-giftgeschaefte-in-brasilien/gift-im-wasser

[10] Dies geschieht z.B. in Indien im Baumwollsektor: https://taz.de/Suizid-Krise-in-Nordindien/!5599995/

[11] Vgl. https://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/Neuauflage/Weltagrarbericht10Jahre.pdf; https://www.katalyse.de/wp-con-tent/uploads/2013/08/2010welternaehrungtab.pdf; https://pubs.acs.org/doi/full/10.1021/es051670d und https://www.theguardian.com/sustainable-business/2016/aug/14/organic-farming-agriculture-world-hunger.

[12] Vgl. http://www.srfood.org/images/stories/pdf/press_releases/20110308_agroecology-report-pr_en.pdf

[13] https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:309:0001:0050:de:PDF

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EU-Kommission denkt über Exportverbot giftiger Chemikalien nach