War es das mit dem Versprechen der EU für schadstofffreie Produkte zu sorgen?

Eine Übernahme von CHEM Trust

Tausend Tage, so viel Zeit ist schon vergangen, seit die Europäische Kommission in ihrer Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit das Versprechen machte, mit einer Überarbeitung der Chemikalienverordnung REACH die schädlichsten Chemikalien in allen Verbraucherprodukten zu verbieten. Diese REACH-Revision wurde im Oktober 2020 für Ende 2022 angekündigt, dann aber doch wieder von den EU-Kommissar*innen nach hinten verschoben. Der Grund dafür? Lobbyarbeit von Seiten der deutschen Chemieindustrie.

Dabei hat die von der EU finanzierte Europäische Humanbiomonitoring-Initiative (HBM4EU) doch eine „alarmierend hohe“ Belastung der Bevölkerung mit gefährlichen Chemikalien festgestellt. HBM4EU ist das größte europäische Untersuchungsprogramm menschlicher Kontamination, die jemals durchgeführt wurde. 116 Regierungsbehörden, Labore und Universitäten waren involviert – und konnten die schädlichsten Chemikaliengruppen in großen Teilen der Bevölkerung nachweisen, einschließlich Bisphenolen, Flammschutzmitteln, Phthalaten und den „Ewigkeitschemikalien“ PFAS.

Die HBM4EU-Ergebnisse haben die Schwächen des aktuellen Regulierungssystems offenbart. Ein System, welches es versäumt hat, ausreichend Sicherheitsdaten insbesondere für Langzeitwirkungen bereitzustellen und „Chemikaliencocktails“ zu berücksichtigen. Und welches die übliche Praxis von „bedauerlichen Substitutionen“ in großem Ausmaß zugelassen hat – also, wenn Unternehmen von einer gefährlichen, regulierten Chemikalie auf eine andere, sehr ähnliche, aber noch nicht regulierte Chemikalie umsteigen. Man könnte auch von „Regulierungsvermeidung“ sprechen. Auf diese „Strategie“ haben wir bereits in unserem Bericht „Von BPA bis BPZ: eine toxische Buchstabensuppe?“ aus dem Jahr 2018 aufmerksam gemacht. Sie mag zwar nicht illegal sein, führt aber dazu, dass wir weiterhin schädlichen Chemikalien ausgesetzt sind.

Die Beweise für die menschliche Belastung mit gefährlichen Chemikalien sind also klar und besorgniserregend. Dennoch scheinen – laut dem Entwurf der EU-Kommission für die REACH-Revision (Haupttext, Anhänge), welcher der NGO Corporate Europe Observatory (CEO) vorliegt – die Verantwortlichen zu planen, sich aus dem Versprechen von giftfreien Produkten zurückzuziehen.

Denn statt (wie erst versichert) alle Verbraucherprodukte in die überarbeitete Verordnung aufzunehmen, sollen bestimmte schädliche Chemikalien wohl nur in bestimmten Produkten verboten werden. So decken die aufgeführten Szenarien Beschränkungen der schädlichsten Chemikalien in maximal 50 % von Verbraucherprodukten ab – teilweise auch nur in 10 % oder sogar 1% von Produkten. Und das, obwohl in dem Dokument auch steht, dass die Vorteile (und Einsparungen) für die Gesellschaft durch die Vermeidung von Fettleibigkeit, Krebs, Unfruchtbarkeit und anderen Erkrankungen, die mit Chemikalienbelastung in Verbindung gebracht worden sind, die Kosten für die Chemieindustrie um schätzungsweise mehr als ein Zehnfaches übersteigen würden.

Fakt ist: So wird die REACH-Revision Schäden für unsere Gesundheit nicht verhindern können. Denn es gibt keine sicheren Grenzwerte für Chemikalien, die womöglich Krebs verursachen, das Hormonsystem stören könnten und sich über viele Jahre in der Umwelt oder in Menschen anreichern.

Die wissenschaftliche Leiterin von CHEM Trust und Vorstandsvorsitzende von CHEM Trust Europe, Ninja Reineke, sagt:

„Die EU-Humanbiomonitoring-Daten haben eine sehr besorgniserregende Belastung von EU-Bürger*innen gezeigt, insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Die Tatsache, dass diese komplexe Mischung schädlicher Chemikalien gesundheitlichen Auswirkungen haben kann, ist ein klarer Appell zum Handeln.“

Chief EU Policy Advocate von CHEM Trust, Stefan Scheuer, sagt:

„Das systematische Umgehen von Vorschriften gefährdet Menschen und den Planeten, weil Chemieunternehmen so von einer schädlichen Chemikalie zur nächsten übergehen. Vor genau 1000 Tagen versprach die Europäische Kommission, dies nicht mehr zu tolerieren und die EU-Gesetze für Chemikalien zu verschärfen. Präsidentin von der Leyen muss ihren Verpflichtungen nachkommen und unverzüglich strengere Regeln verkünden.“

Leiterin Chemikalienpolitik des European Environmental Bureau, Tatiana Santos, sagt:

„Das HBM4EU hat das schockierende Ausmaß sowohl von unserer toxischen Belastung als auch des Versagens der aktuellen Gesetze offenbart. Die EU hat vor 1.000 Tagen viel stärkere Maßnahmen zum Schutz vor Chemikalien versprochen, aber Versprechen helfen nicht. Da die Gesundheitseinsparungen die Kosten für die Industrie um das Zehnfache übersteigen, brauchen wir diese effektiveren Regeln, jetzt.“

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