BUND-Rechtsgutachten: Kinderspielzeug voller Schadstoffe, weil Kontrollen versagen
Berlin. Online gekauftes Kinderspielzeug kann Chemikalien wie Plastikweichmacher, krebserregende Nitrosamine oder Bisphenol A in hohen Konzentrationen enthalten und verstößt so gegen die geltenden Vorschriften in der EU. Dies geht aus einem aktuellen Rechtsgutachten und einer dazugehörigen Marktrecherche des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hervor. Demnach hinkt die Überwachung des Marktes für Produkte, die verbotene Chemikalien enthalten, dem rasanten Anstieg des Online-Handels hinterher. Angemessene Kontrollen sind bei der gegenwärtigen Praxis nicht möglich. Das laut EU-Recht gebotene Schutzniveau für Verbraucher*innen und Umwelt ist systematisch nicht gegeben, wie die BUND Auswertungen zeigen.
BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock: „Es gibt Spielzeug, das große Mengen gesundheitsschädlicher Chemikalien enthält. Der Internethandel wird leider noch nicht vergleichbar mit dem stationären Handel überprüft. Und so können Schadstoffe in die Körper unserer Kinder gelangen. Es liegt in der Verantwortung der EU und der Bundesregierung, auch die Kleinsten zu schützen. Die geltenden Gesetze sind nicht ausreichend auf die digitale Welt ausgerichtet. Der BUND fordert deshalb schnelle Maßnahmen für eine effektive nationale Marktüberwachungsstrategie.“
Ein weiteres Ergebnis des Gutachten: In Deutschland stimmen sich verschiedene Überwachungsbehörden auf Länderebene nicht ausreichend ab. Es fehlen klare gesetzliche Vorgaben für Kontrollen und Sanktionen. Überwachungsbehörden mangelt es zudem an der notwendigen Ausstattung, um Online-Plattformen in die Verantwortung zu nehmen.
Von Broock: „Das Kompetenzwirrwarr zu Lasten der menschlichen Gesundheit kann so nicht weitergehen. Wir brauchen klare gesetzliche Vorgaben für Produktkontrollen und Sanktionen, die Ausstattung der Überwachungsbehörden mit den notwendigen Mitteln und landesübergreifende Zusammenarbeit.“
Ergänzend zum Rechtsgutachten, hat der BUND das EU-Schnellwarnsystem für unsichere und gefährliche Produkte, „EU Safety Gate“, ausgewertet. Das Ergebnis: Die Zahl der gemeldeten Produkte, die verbotene Chemikalien enthalten, ist in den letzten vier Jahren um 30 Prozent gestiegen. Durch den boomenden Online-Handel fallen zum Beispiel immer häufiger Spielzeuge aus chinesischer Produktion auf, die mit hormonell schädlichen Weichmachern wie DEHP belastet sind und sogar zu mehr als der Hälfte aus diesen bestehen können. Über 200 Spielzeuge haben die für die Überwachung zuständigen Behörden aus EU-Ländern im letzten Jahr gemeldet. Neben Weichmachern, wurden in der EU auch weitere Schadstoffe gefunden, etwa krebserregende Nitrosamine Bor, Bisphenol A sowie das extrem langlebige „Altgift“ TBT.
Mit Blick auf Fulfillment-Dienstleister, also Plattformen wie Amazon, Ebay oder Alibaba, fügt von Broock an: „Unsere Auswertung legt nahe, dass EU und Bundesregierung sehr wohl wissen, dass die Verstöße gegen EU-Recht im Online-Handel weitgehend außer Kontrolle geraten sind. Zudem bewegen sich Amazon, Ebay oder Alibaba in einem rechtlichen Freiraum, wo sie die Verantwortung für die Einhaltung von Schutzvorschriften ganz legal umgehen können. Es ist offensichtlich so, dass über diese Handelsriesen derzeit alles, sogar gefährliches Spielzeug, auf den Markt geworfen werden kann, weil niemand ernsthafte Konsequenzen zu fürchten hat. Um das zu beenden, brauchen wir dringend Maßnahmen, die eine effektive Kontrolle des Online-Handels gewährleisten können.“
Hintergrund
Bereits 2020 teilte die Europäische Chemikalienbehörde (ECHA) mit, dass ein Viertel der in die EU importierten Produkte nicht dem EU-Chemikalienrecht entsprach. 2021 stellte die ECHA noch weitergehender fest, dass die Mehrheit der online gehandelten Produkte gegen Vorgaben des EU-Chemikalienrechts verstieß. Erfasst sind hier lediglich, die bei Stichproben ermittelten Produkte. Wie hoch ihre tatsächliche Zahl ist, kann nur geschätzt werden.
Eine effektive Marktkontrolle kann gelingen, wenn Anzahl und Art der Kontrollen durch klare und verbindliche gesetzliche Handlungsaufträge geregelt und nicht, wie aktuell der Fall, dem freiwilligen Ermessen der zuständigen Landebehörden überlassen würde. Sanktionen bei Zuwiderhandlung müssen so hoch sein, dass sie auch abschrecken. Dafür müssen Überwachungsbehörden, wie im Gesetz auch vorgesehen, mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden, Mindestkontrollniveau und Probenbeschaffung an die Besonderheiten des Online-Handels angepasst werden.