Pestizide: Verzögerung, Verschleierung, Verlängerung

Eine Übernahme aus den Umweltnews des DNR:

Erwartet wurde sie noch vor der Sommerpause. Jedoch: Die Abstimmung im Agrarausschuss des EU-Parlaments zur geplanten Pestizid-Verordnung (Sustainable Use Regulation, SUR) wurde verschoben. Auf der Sitzung des Agrarausschusses am 19. Juli fand keine Positionierung zur SUR statt. Damit verzögert sich der Gesetzgebungsprozess zur Pestizidverordnung weiter. Als neuer Termin für die Abstimmung wird die Sitzung des Ausschusses im Oktober genannt.  

SUR frühestens im November im EU-Parlament

Laut Aussage einer Sprecherin des Europäischen Parlaments im Nachrichtendienst EURACTIV sei die Verschiebung notwendig gewesen, da die Gespräche zwischen den Abgeordneten der Fraktionen und deren Arbeit an einer Vielzahl von Kompromissanträgen mehr Zeit erforderten. Vermutlich wird sich daher auch die Abstimmung im federführenden Umweltausschuss verzögern. Dadurch wiederum erfolgt auch die Plenarabstimmung im EU-Parlament und die darauffolgenden Verhandlungen mit Rat und EU-Kommission (Trilog) später. Mit einer Abstimmung zur Position des EU-Parlaments im Plenum ist daher frühestens im November zu rechnen.

Schwerer Vorwurf gegen Bayer und Syngenta

Auch um Pestizide ging es derweil in einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses am 18. Juli. In der Sitzung wurden die Agrochemie-Konzerne Bayer und Syngenta wegen eines schwerwiegenden Vorwurfs vorgeladen: Die Konzerne hätten im Zulassungsverfahren wichtige Studien zur Hirntoxizität einiger Pestizide zurückgehalten. Zu diesem Ergebnis war eine wissenschaftliche Studie der Universität Stockholm gekommen. Bei den vorenthaltenen Informationen handele es sich um Erkenntnisse zur Entwicklungsneurotoxizität, also zu potenziellen Gesundheitsgefahren für menschliche Föten und Kinder.

Studien zurückgehalten

Die im Wissenschaftsjournal Environmental Health veröffentlichte Studie kommt zum Ergebnis: Die Konzerne haben den US-Behörden 35 Untersuchungen zur Neurotoxizität vorgelegt. Den zuständigen EU-Behörden wurden davon hingegen neun Studien vorenthalten. Bei sieben dieser fehlenden Studien stellten die Forschenden der Universität Stockholm eine „tatsächliche oder potenzielle Auswirkung auf die Gesetzgebung“ fest. Über diese eklatante Unterschlagung berichteten Anfang Juni bereits zahlreiche Medien, darunter Der Spiegel, The Guardian und der Bayerische Rundfunk.

Rechtswidriges Verhalten der Konzerne

Die EU-Kommission sieht darin einen Verstoß gegen europäisches Recht. Dies sei eine „sehr ernste Angelegenheit“, erklärte Claire Bury, die stellvertretende Generaldirektorin der Generaldirektion Gesundheit (DG SANTE). Laut dem Direktor der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA), Bernhard Url, sei das Verhalten der Konzerne „unethisch“ und verstoße gegen die damals geltenden Regeln. Inwieweit die Agrochemie-Konzerne jedoch juristische Konsequenzen, Strafen oder Sanktionen zu erwarten haben, ist noch offen. Die Verantwortung dafür liege bei den Mitgliedstaaten.

Klimaschädliches Insektizid weiter zugelassen

Zu weiterem Unmut führte die Verlängerung des Pestizids Sulfurylfluorid durch die Europäische Union. Im ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) wurde einer Verlängerung um drei weitere Jahre zugestimmt. Die Zulassung erfolgte dabei einstimmig, gebilligt von allen Mitgliedstaaten. Das Gas Sulfurylfluorid wird zur Bekämpfung von holzschädlichen Insekten genutzt. Es wird insbesondere beim Export von Holzstämmen eingesetzt, um die Verbreitung von Insekten zu verhindern, die in den Importländern möglicherweise Schäden anrichten könnten.

4.600 mal schädlicher als Kohlendioxid

Das Pestizid Sulfurylfluorid ist aber nicht nur für Insekten stark giftig, es wirkt auch als enormes Treibhausgas. Nach Angaben des Weltklimarats (IPCC) sei das Gas 4.600 mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Entsprechend kritisch kommentierte Franziska Buch, Referentin für Energie- und Klimapolitik am Umweltinstitut München, die Entscheidung zur Verlängerung: „Das klimaschädliche Pestizid Sulfurylfluorid weiter zu genehmigen, wäre fatal in der Dekade, in der wir alles daransetzen müssen, die menschengemachten Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren.“

Petition gegen Sulfurylfluorid

Nach Angaben des Umweltinstituts verursache allein das über die letzten drei Jahre im Hamburger Hafen eingesetzte Sulfurylfluorid Treibhausgasemissionen von rund drei Millionen Tonnen CO2: Mehr als die jährlichen Emissionen des innerdeutschen Flugverkehrs. Mit einer Petition richtet sich das Umweltinstitut gegen die Wiederzulassung und appelliert an die zuständigen deutschen Minister*innen, sich für ein EU-weites Verbot des klimaschädlichen Pestizids einzusetzen. [bp]

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