Auf dem Weg zu einem SAICM-Beyond-2020: Bericht zur IP4.2 in Nairobi
Vom 27. Februar bis 3. März 2023 kamen in Nairobi über 500 Delegierte zusammen, um gemeinsam ein SAICM-Beyond-2020-Instrument vorzubereiten. Das Treffen in Nairobi war eine Fortsetzung des vierten Treffens des Intersessionalen Prozesses (IP), welches 2022 in Bukarest begannen wurde. Das Ziel des Intersessionalen Prozesses war es seit 2017, ein in sich kohärentes, schlüssiges und weitgehend übereingestimmten Dokument für ein SAICM-Beyond-2020 zu erarbeiten, welches dann bei der kommenden Weltchemikalienkonferenz beschlossen werden soll. Die Weltchemikalienkonferenz wird vom 25.-29. September 2023 in Bonn stattfinden. Offiziell trägt die Konferenz den Namen International Conference on Chemicals Management 5 (ICCM).
Da das Treffen in Nairobi lediglich eine Fortsetzung des IP-Treffens war, das im September 2022 in Bukarest stattfand, war auch die Agenda des Treffens in Bukarest weiter aktuell und wurde in Nairobi übernommen. Dabei lag der Hauptfokus auf einem Kerndokument, das durch verschiedene, zum Teil offene Anhänge ergänzt werden sollte. Offen heißt indem Fall, im Rahmen kommender International Conferences on Chemicals Management (ICCM) veränder- und anpassbar. Von Beginn an wurde betont, dass die Woche arbeitsintensiv wird und das Ziel nur zu erreichen ist, wenn alle kooperieren und darauf aus sind, Kompromisse zu finden. Wie in Bukarest gab es drei Arbeitsgruppen (Thematic Group). Diese Gruppen hatten das Mandat ihnen zugewiesene Abschnitte zu diskutieren und zu finalisieren, mit dem Ziel, klare und verständliche Sprache herzustellen und die bestehenden Klammern aufzulösen.
Thematic Group 1 widmete sich den Strategische Zielsetzungen, Zielen und der Messbarkeit des Fortschrittes. Darüber hinaus hatte die Gruppe das Mandat, stetig darauf zu achten, dass die Vision im Einklang mit den Zielen steht und eine Struktur zu identifizieren, mit der der Fortschritt gemessen werden kann. In der Praxis lag Schwerpunkt der Arbeitsgruppe dann in der Diskussion der Ziele. Die Vision und die Strategische Zielsetzungen wurden nicht diskutiert und der Stand aus Bukarest übernommen. Für die Messbarkeit wurde ein Vorschlag des Inter-Organization Programme for the Sound Management of Chemicals (IOMC) präsentiert, kurz diskutiert und der Arbeitsauftrag an die IOMC gegeben, den Vorschlag bis zur ICCM5 weiter auszuarbeiten, da alle grundsätzlich mit dem Vorschlag d´accord gingen. Jedoch auch der dringend benötigte Fortschritt in der Diskussion um die Ziele, sowie der Arbeitsstand zu den Zielen bot nicht viel Raum für eine intensive Diskussion über die Mechanismen, den Fortschritt zu messen.
Themativ Group 2 widmete sich den Implementierungsmechanismen. Hier wurden im Schwerpunkt die Möglichkeiten der Implementierung des Chemikalienrechtes auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert, aber auch die Handhabung der sogenannten Issues of Concern (IoC), also Themen von besonderer Dringlichkeit. Im bestehenden SAICM gibt es acht IoCs. Bisher gab es kein standardisiertes Vorgehen im Umgang mit den IoCs, sodass auch die Arbeit zu den Themen und der daran gekoppelte Erfolg sehr unterschiedlich ausfiel.
Thematic Group 3 widmete sich den finanziellen Aspekten und den Möglichkeiten, Kapazitäten für das Chemikalienmanagement zu schaffen. Außerdem sollte es in Einklang mit Gruppe 1 die Ziele, die finanzielle Aspekte berühren, diskutieren. Neben direkten finanziellen Ressourcen wurden auch nicht-finanzielle Ressourcen zur Unterstützung des internationalen Chemikalienmanagements und der nationalen Implementierung diskutiert. Diese Aspekte wurden vor allem von den Geberländern immer wieder ins Spiel gebracht, da sie keine direkten finanziellen Ressourcen bereitstellen können und wollen.
Alle drei Arbeitsgruppen wurden durch zwei Co-Facilitators geleitet.
Zusätzlich zu den drei Arbeitsgruppen, die so auch schon in Bukarest zusammen kamen, haben die Co-Chairs – die Leiterinnen des Intersessionalen Prozesses – zwei weitere Gruppen ins Leben gerufen. Die Gruppe „Friends of the Co-Chairs“ sollte die Kohärenz des Dokumentes her- und sicherstellen und mögliche Leerstellen identifizieren und füllen. Außerdem erarbeitete die Gruppe einen Einführungstext, der die Notwendigkeit eines SAICM-Beyond-2020 erläutert. Teil der Gruppe „Friends of the Co-Chairs“ waren neben den Co-Chairs an sich, die Präsidentin Anita Breyer und Vertreter*innen der Regionen und von allen weiteren Stakeholdergruppen. Insgesamt 30 Delegierte kamen hier regelmäßig zusammen. Außerdem wurde noch eine Gruppe mit dem Namen „Informal Dialog“ ins Leben gerufen, die zweimal zusammentrat und über weitere Resolutionen, die bei der ICCM5 angenommen werden sollen, als auch über den Namen des künftigen Instruments, zu beraten. Auch wenn viele Aspekte angesprochen wurden, die bei der ICCM5 berücksichtigt werden müssen und welche Resolutionen verabschiedet werden müssen, gab es hier keine Festlegung auf den weiteren Werdegang.
Während des Treffens des Intersessionalen Prozesses in Nairobi wurde intensiv gearbeitet, jedoch nicht an jeder Stelle Fortschritt erzielt. Während die Gruppe „Friends of the Co-Chairs“ einen guten und starken Einführungstext erarbeitete und die Arbeitsgruppe 2 wirklichen Fortschritt machte, wie künftig mit den Issues of Concern umgegangen werden sollte, waren die anderen Arbeitsgruppen weniger erfolgreich.
In den Arbeitsgruppen 1 und 3 wurde während des gesamten Prozesses wenig Fortschritt erzielt. Die Verhandlungen waren zäh. In beiden Arbeitsgruppen wurde keine zweite Lesung geschafft, nicht alle Klammern aufgelöst und an mancher Stelle existieren sogar noch alternative Textvorschläge, die teilweise in ihrer Bedeutung weit auseinander gehen. Der Grund hierfür liegt einerseits am grundlegenden Dissens zwischen einzelnen Stakeholdern und Regionen, anderseits aber auch Unklarheiten zum Prozess und dem Ziel.
Dissens zwischen den Stakeholdern
Das übergeordnete Ziel von SAICM, ein nachhaltiges Chemikalienmanagement entlang des gesamten Lebenszyklus zu schaffen, ist seit 2015 in den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs, Sustainable Development Goals) verankert. Unter SDG 12.4 . Darüber hinaus sind auch weitere Ziele nicht ohne ein nachhaltiges Chemikalienmanagement erreichbar. Die SDGs haben eine klare zeitliche Bindung. Warum 2030 nicht auch die Zeitlinie für ein SAICM-Folgeabkommen darstellen soll, ist nicht ersichtlich. Jedoch war dies immer wieder Diskussionspunkt in der Diskussion um zeitgebundene Ziele. Dahinter stehen unterschiedlichen Ambitionen. Länder wie USA, Indien und China, die sich als besonders regressiv herausstellten und jegliche ambitionierten Ziele ablehnten. Die chemische Industrie ist in diesen Ländern ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor. Auf der anderen Seite standen Länder vor allem aus der GRULAC- und der afrikanischen Region, die permanent mehr Ambitionen gefordert hatten. Auch die Zivilgesellschaft und der Gesundheitssektor haben stetig ein höheres Level der Ambitionen gefordert, vor allem vor dem Hintergrund, dass auch ein SAICM-Beyond-2020 ein rein freiwilliges Instrument sein wird. Ein freiwilliges Instrument mit niedrigen Ambitionen ist vollständig zahnlos und so können der Herausforderungen der Verschmutzungskrise nicht gelöst werden.
Auch die Diskussionen um die künftige Finanzierung des Instruments führte zu keiner Einigung. Die geringe Finanzierung von SAICM war ein wesentlicher Grund, warum SAICM das übergeordnete Ziel nicht erreicht hat. Zu dem Schluss kommt der Global Chemicals Outlook des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen. Diskutiert wird für einen Finanzierungsmechanismus des internationalen Chemikalienmanagements der Integrierte Ansatz für die Finanzierung. Dieser basiert auf drei Säulen: Mainstreaming und Zugang zu Geldern aus anderen Sektoren wie Gesundheit oder Wissenschaft; Einbezug der Industrie; und dezidierte dritte Finanzierungsmöglichkeiten, bspw. des Global Environment Facility (Globale Umweltfazilität). Bei letzteren zählt Deutschland mit zu den größten Geldgebern. Es gab bisher keinen Konsens für die Art, Weise und Umfang wie die chemische Industrie eingebunden wird und auch keinen Konsens über dezidierte dritte Finanzierungsmöglichkeiten, bspw. ein eigener Geldtopf. Die Geberländer haben allerdings das Problem, dass vielseits die politische Agenda in Folge der diversen Krisen nicht darauf ausgerichtet ist, viel Geld in den Prozess zu stecken. Außerdem sind Klima und Biodiversität präsenter und fester auf der politischen Tagesordnung verankert, sodass dem Chemikalienmanagement schlicht die Bedeutung und damit das Geld fehlt. Das wird sich auch bis zur ICCM5 in Bonn nicht ändern.
Unklarer Prozess und Unsicherheiten
Da das übergeordnete Ziel, die Vision und der Umfang (Scope) nicht abschließend geklärt war und auch weil an vielen Stellen Unsicherheit darüber herrschte, welche Resolutionen bei der ICCM5 übernommen werden sollen, was vom alten SAICM erhalten bleibt, bspw. die Dubai-Deklaration, was in einer angesprochen High-Level-Declaration enthalten sein soll, was Teil des Kerntextes wird und was in die Anhänge geht. Diese ganzen Unklarheiten führten zu Unsicherheiten. Dadurch haben viele Teilnehmende erbittert an ihrer Agenda festgehalten, aus Angst zu viel zu verlieren.
Ähnlich wie auch in Bukarest war teilweise nicht ganz klar, wie das Verfahren ist. Immer wieder wurden Vorschläge von den Co-Facilitators – zumindest in Thematic Group 1 – nicht auf- oder wahrgenommen, sodass es immer wieder zu Verzögerungen kam.
Alles in allem hat dies dazu geführt, dass die Mandate innerhalb der Woche nicht erfüllt wurden. Der bisherige Fortschritt ist im „Single Consolidated Document“ für das SAICM-Beyond-2020 Instrument der Co-Chairs festgehalten. Dieses Dokument kann so nicht in die ICCM5 in Bonn gegeben werden, da damit voraussichtlich kein neues Abkommen geschlossen werden kann. Deshalb wurde auch diesen Treffen nicht offiziell geschlossen und wird mit einem dritten Treffen direkt vor der ICCM5 in Bonn fortgeführt. Am 23. Und 24. September werden alle Delegierten nochmals zusammen kommen und versuchen ein in sich kohärentes und konsensfähiges Dokument zu erarbeiten. Damit geben die bisherigen IP4-Meetings, die in ihrer gesamten Länge 10 Tage dauerten, wenig Anlass zur Hoffnung, dass das kommende zweitägige Meeting die bestehenden Probleme lösen kann.
Nun liegt es an allen Stakeholdern und insbesondere bei der Deutschen Regierung, die die Präsidentschaft innehat, mögliche Alternativen zu erarbeiten, falls kein Folgeabkommen beschlossen werden kann. Das bestehende SAICM weiterlaufen lassen und in einem weiteren Prozess die Knackpunkte Finanzierung und Umfang des Internationalen Chemikalienmanagements klären, empfinden wir als sinnvollen Schritt.
Der PFAS-Problematik Rechnung tragen
Zu Beginn des IP-Meetings wurde an verschiedenen Stellen immer wieder die PFAS Problematik angesprochen. PFAS hatten eine deutlich prominentere Rolle als noch beim Meeting vor fünf Monaten in Bukarest. Die zunehmende Berichterstattung zu dem Thema, aber auch Studien, die belegen, dass die Planetaren Grenzen für einige PFAS bereits überschritten sind, sowie der aktuell eingereichte Regulierungsvorschlag in der EU sind hierfür sicher wichtige Gründe.
Zum einen heißt das, dass das Problembewusstsein und der damit verbundene Handlungsdruck steigt. Zum anderen, und das ist wesentlich bedeutsamer, sind PFAS an vieler Stelle in der öffentlichen Diskussion. Dies ist ein Moment, um das randständige Thema Chemikalienpolitik mehr Aufmerksamkeit zu kommen zu lassen und auch andere Ressorts die Wichtigkeit des Themas zu vermitteln. Allerdings birgt es auch die Gefahr, dass sich zunehmend auf PFAS und andere persistente Stoffe bezogen wird und weniger persistente, aber nicht weniger schädliche Chemikalien ins Abseits rücken.
Rolle der EU
Deutschland bzw. die deutsche Regierungsdelegation hat keine eigene Stimme in den Verhandlungen, sondern ist Teil der EU, die mit einer Stimme spricht. Die EU koordiniert sich intern. Das führt leider auch dazu, dass es wenig Austauschmöglichkeiten zwischen der europäischen Zivilgesellschaft und der EU gibt. Während andere Regionen täglich Regional Meetings haben, an denen auch die Zivilgesellschaft teilnehmen kann, gab es zwischen der europäischen Zivilgesellschaft und einigen EU-Delegierten nur ein 30-minütiges Treffen. Dennoch gibt es seitens der EU die Bereitschaft, diesen Austausch fortzuführen und zu institutionalisieren.
An vielen Stellen hat die EU progressive Ziele, wenn auch zaghaft unterstützt und sich für diese ausgesprochen. Der wirkliche Knackpunkt liegt aber an anderen Stellen. Die EU als Teil der Geberländer hatte jedoch auch die Diskussion über zusätzliche Finanzierungen abgeblockt.
Global Allianz für hochgefährliche Pestizide
Die Afrikanische Region hat im Vorfeld des Treffens einen Vorschlag erarbeitet und eingebracht, in dem sie eine Globale Allianz für Hochgefährliche Pestizide (HHPs, Highly Hazardous Pesticides) einrichten wollen. Bereits 2015 bei der ICCM4 wurden HHPs als Issue of Concern – also Thema mit besonderer Bedeutung – in SAICM aufgenommen. Einige Länder haben bereits HHPs auf nationaler Ebene verboten und auch internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Welternährungsorganisation (FAO) haben gemeinsam viele Prozesse zum Umgang mit HHPs angeführt, jedoch ist allem in allem die bisherige Arbeit noch zu langsam und insbesondere Länder im Globalen Süden haben weiterhin dringende Probleme, die bearbeitet werden müssen. HHPs sind nur ein kleiner Teil der weltweit zugelassenen Pestizide, dennoch sind sie für einen großen Teil der nachhaltigen Schädigungen von Umwelt und Gesundheit verantwortlich. Jährlich werden die unintendierten Vergiftungen mit dieser Gruppe der Pestizide auf 385 Millionen pro Jahr.
Die Afrikanische Region appelliert daher, es braucht koordinierte und konzentrierte Arbeiten mit allen Stakeholdern. Die Globale Allianz für HHPs soll hier für den Rahmen und den Auftakt bieten und nach Vorstellung der Afrikanischen Region bei der ICCM5 in Bonn übernommen werden. Für den Vorschlag der afrikanischen Region gab es breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft und auch Staaten aus der GRULAC-Region und Asia-Pazific. Auch die Ziele in SAICM, die die HHPs adressieren, wurden von diesen Delegierten unterstützt, allerdings gab es hier auch viel Gegenwind, weshalb es weder bei den Zielen zu den HHPs noch bei der Global Alliance on HHPs abschließende Einigungen gab. Bei der Allianz spielte zusätzliche eine Rolle, dass unklar bleibt, über welche finanziellen Ressourcen die Arbeiten zu den HHPs abgedeckt werden sollen und wie die weitere Arbeit an den Issue of Concern HHP aussehen soll.