Endlich verbieten?!
Hochgefährliche Pestizide im internationalen Chemikalienmanagement.
Ein Artikel von Susan Haffmans und Tom Kurz. Veröffentlicht im Rundbrief 3/2022 des Forums Umwelt und Entwicklung “Vergiftete Profite - (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?”
Pestizide sind in ihrer Wirkungsweise schädlich, das ist bekannt und auch gewollt. Ihre Schädlichkeit variiert je nach Wirkstoff enorm. Unter den vielen Wirkstoffen gibt es eine Gruppe von hochgefährlichen Pestiziden, deren Einsatz fatale Folgen für Mensch und Umwelt hat. Auch dies ist schon lange bekannt, die Internationale Staatengemeinschaft hinkt bei der Regulierung allerdings hinterher. Aktuelle Prozesse geben aber Grund zur Hoffnung.
Pestizide werden seit Jahrhunderten angewendet und waren von jeher dazu bestimmt, giftig zu sein, um unerwünschte Organismen wie Tiere, Pilze oder Pflanzen zu schädigen. Die rasante Entwicklung des heute verbreiteten chemischen Pflanzenschutzes ging einher mit der Industrialisierung, die neben der chemischen Produktion auch den globalen Handel beschleunigte.
Bis ins 19. Jahrhundert wurden vor allem Schwermetallsalze und Arsenverbindungen als Pestizide genutzt. Diese hochgiftigen Substanzen führten zu Vergiftungen unter den Landarbeiter:innen, was in Europa und Nordamerika zu ersten Pestizidgesetzgebungen führte. Seit den 1930er-Jahren werden Pestizide in größerem Maßstab synthetisch hergestellt. Ihre Anwendung stellt seitdem einen wesentlichen Baustein in der industriellen Landwirtschaft dar.
Nach und nach wurden die Pestizidgesetze erweitert. Neben der Wirksamkeit der Mittel, rückten zunächst der Anwender- und der allgemeine Gesundheitsschutz, später der Schutz vor Umweltkontamination und Biodiversitätsschutz in den Fokus. Den Umgang mit Pestiziden zu regulieren, liegt in der Befugnis des jeweiligen Staates bzw. Staatenverbunds. Dabei besitzen die jeweiligen Staaten unterschiedliche personelle, finanzielle und technische Kapazitäten, um Pestizide zu regulieren. Die Vorgaben zur Genehmigung, Zulassung und Anwendung von Pestiziden in der EU unterscheiden sich beispielsweise von denen in den USA oder in Kenia. Während die Befugnisse der Staaten meist an deren Landesgrenzen enden, werden Pestizide global gehandelt, über Luft und Wasser oder an Partikel gebunden über kurze und weite Strecken transportiert und in Form von Rückständen in Lebensmitteln mit den Warenströmen verteilt. Nur für rund vier Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide bestehen über verbindliche Konventionen international verpflichtende Handelsbeschränkungen oder Verbote.
Internationale Regulierung von Pestiziden ist lückenhaft
Die internationale Regulierung von Chemikalien und schädlichen Stoffen ist insgesamt unzureichend und gleicht einem Flickenteppich. Dies gilt auch für Pestizide. Zwar macht der seit 1985 vielfach überarbeitete Internationale Verhaltenskodex für Pestizidmanagement der Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen (FAO) und der World Health Organization (WHO) Vorgaben zum Umgang mit Pestiziden mit dem Ziel, Mensch und Umwelt vor Belastungen zu schützen, doch die Anwendung des Kodex ist freiwillig und so sind viele seiner Vorgaben nicht umgesetzt. Aus dem Verhaltenskodex hervorgegangen ist 1998 das Rotterdamer Übereinkommen. Es reglementiert für die 165 Vertragsstaaten des Abkommens verbindlich den Handel mit bestimmten besonders gefährlichen Pestiziden und anderen Chemikalien strenger, verbietet den Handel aber nicht. Dort gelistete (Agrar-)Chemikalien dürfen nur dann in einen Drittstaat exportiert werden, wenn das importierende Land über die Gefährlichkeit des Stoffs informiert wurde und ausdrücklich die Einfuhr erlaubt. Das 2004 verabschiedete Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POPs) spricht völkerrechtlich verpflichtende Handels- und Produktionsverbote aus. Neben Industriechemikalien fallen derzeit 16 Pestizidwirkstoffe in den Anwendungsbereich. Um die Aufnahme des nervenschädigenden Insektizids Chlorpyrifos in das Stockholmer Übereinkommen wird derzeit gerungen. Die Aufnahme neuer Schadstoffe in die Listen der beiden Übereinkommen ist ein langwieriger Prozess und wird immer wieder vom wirtschaftlich motivierten Widerstand einzelner Staaten behindert. Zusammen regulieren die Rotterdamer und Stockholmer Konventionen derzeit verbindlich 44 Pestizide.
Hochgefährliche Pestizide im Fokus
Nach intensiven Bemühungen um eine Verringerung der Zahl der Pestizidvergiftungen in Entwicklungsländern, erkannte der FAO-Rat 2006 zum ersten Mal an, dass bestimmte Pestizide in Entwicklungsländern nicht eingesetzt werden können, ohne Schaden zu verursachen. Er machte deutlich, dass das schrittweise Verbot hochgefährlicher Pestizide (Highly Hazardous Pesticides, HHPs) zu den Risikominderungsmaßnahmen zählt. Ein von FAO und WHO erstellter Kriterienkatalog definiert seit 2008, welche Pestizide als hochgefährlich gelten. Es sind solche, die unter normalen Anwendungsbedingungen schwere oder irreversible Gesundheits- oder Umweltschäden verursachen und von hoher akuter oder chronischer Toxizität sind (z. B. krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend). Auf eine offizielle, von FAO und WHO erstellte und auf den FAO/WHO -Kriterien basierende Substanzliste mit den Namen der hochgefährlichen Pestizide wird seitdem gewartet. Da die Identifizierung von HHPs der erste Schritt zu ihrem Ersatz ist, verzögert dieser Sachverhalt grundlos das dringend benötigte Vorangehen für ein globales Auslaufen (Phase-out) von HHPs. Viele Akteur:innen nutzen daher die HHP-Liste, die das internationale Pesticide Action Network (PAN) seit 2009 herausgibt. Die Liste basiert auf den FAO/WHO-Kriterien und ergänzt diese. Auf der PAN HHP-Liste sind derzeit 338 Pestizide als hochgefährlich gelistet.
Wie die Lücken schließen?
Um die Lücken im Teppich der Chemikalien-Regulierung zu schließen und mit Chemikalien verbundene Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu mindern, wurde 2006 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) ein freiwilliger globaler Multi-Stakeholder-Prozess mit dem Namen „Strategic Approach to International Chemicals Management“ (SAICM, strategischer Ansatz für ein internationales Chemikalienmanagement) gestartet. SAICM hatte zum Ziel bis 2020 ein nachhaltiges Management von Chemikalien über den ganzen Lebenszyklus zu realisieren und die Lücken der bestehenden Chemikalien-Regulierungen zu schließen. Dieses Ziel wurde zwar verfehlt, aber SAICM hat zumindest Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und einen Rahmen geschaffen, in dem Vertreter:innen unterschiedlicher Sektoren und Interessengruppen zusammen über die Belastungen und den Umgang mit Chemikalien beraten und gemeinsame Ziele vereinbaren können.
Schon im Gründungsjahr von SAICM 2006 wurden Pestizide als Problemfeld identifiziert, doch erst im Jahr 2015 wurde die Gruppe der HHPs auf der vierten International Conference on Chemicals Management (ICCM4) als sogenanntes Issue of Concern (besorgniserregendes Thema) in SAICM aufgenommen und damit als vorrangiges Thema innerhalb der internationalen Chemikalienmanagement bestimmt, für das international nach Lösungen gesucht werden muss. Die Konferenz forderte unter anderem „konzertierte Aktion(en) im Hinblick auf HHPs“ und regte an, „den Schwerpunkt auf die Förderung agrarökologischer Alternativen und die Stärkung der nationalen Regulierungskapazitäten“ zu legen.
Seit 2015 wurden im Rahmen von SAICM in ausgewählten Südländern, HHP-bezogene Projekte durchgeführt. Vor allem im Bereich der Bewusstseinsbildung und des Kapazitätsaufbaus wurde hier Arbeit geleistet. Außerdem wurden pestizidbezogene Daten gesammelt und Maßnahmen zur Minderung von Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pestiziden unterstützt. Die erhoffte konzertierte internationale Aktion zur Eindämmung von hochgefährlichen Pestiziden blieb lange aus. Als Reaktion auf Forderungen der ICCM4 nach einer konzertierten HHP-Strategie, wurde 2019 zunächst unter der Federführung der FAO mit der Arbeit an einem globalen HHP-Aktionsplan begonnen – eine Entscheidung, die insbesondere von den zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen im Prozess sehr begrüßt wurde. Ein zunächst vielversprechender erster Entwurf dieses Plans wurde allerdings im weiteren Verlauf der Abstimmung zwischen FAO, WHO, UNEP und weiteren Beteiligten abgeschwächt. Ob der Plan am Ende dringend das Ziel und notwendige Maßnahmen für ein Phase-out von HHPs beinhalten wird, bleibt abzuwarten.
Dieses und nächstes Jahr (2022-23) werden FAO, WHO und UNEP weiter beraten. Der finale Entwurf des Aktionsplans soll dann offiziell der ICCM5 im Herbst 2023 vorgelegt werden – 17 Jahre (!) nachdem das Gründungsdokument von SAICM bereits festgestellt hatte, dass Maßnahmen zur „schrittweisen Abschaffung hochgefährlicher Pestizide“ ergriffen werden müssen.
Wie geht es weiter?
Bis zur ICCM5 Konferenz im Oktober 2023, auf der die beteiligten Akteur:innen über ein neues Rahmenwerk abstimmen werden, bleibt noch viel zu tun. Im laufenden sogenannten intersessionalen Prozess wird an einem neuen Text für die zukünftige Rahmenvereinbarung gearbeitet – mit Meilensteinen, Zielen und Indikatoren. Grund zur Hoffnung gibt, dass HHPs das meist diskutierte Issue of Concern beim vierten Treffen des intersessionalen Prozesses war, das Anfang September in Bukarest stattfand. Das PAN schaffte es zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren das Ziel hochgefährliche Pestizide bis 2030 aus der Landwirtschaft zu verbannen in den noch weiter zu verhandelnden Text zu integrieren. Unterstützt wurden sie dabei insbesondere von Staaten des Globalen Süden, darunter Sri Lanka, Panama, Ghana, Chile and Tansania. Außerdem wurden Ziele zur Förderung agrarökologischer Alternativen und ein Exportstopp für Stoffe, die auf nationaler Ebene verboten sind, aufgenommen. Im weiteren Verhandlungsprozess wird es darum gehen, diese wichtigen Ziele zu verteidigen.
Zu den Autor*innen: Susan Haffmans ist Referentin für Pestizide und Internationales beim Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland. Tom Kurz ist Referent für internationale Chemikalienpolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.