In dubio pro Industrie? PFAS und andere zweifelhafte Substanzen

Eine Übernahme der EU-Umweltnews des DNR:

Auf Einladung der belgischen Präsidentschaft hat am 20. Februar ein Treffen von Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen und verschiedenen Spitzenpolitiker*innen wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stattgefunden. In der veröffentlichten „Antwerpener Erklärung“ geht es um den europäischen Green Deal, die Erreichung von Klimaneutralität, vor allem aber um die Konkurrenz zu den USA und China. Unternehmen und Industrieverbände fordern unter anderem einfacher zu erhaltende Staatshilfen, niedrigere Energiekosten und mehr europäische Bergbauprojekte für wichtige Rohstoffe.

Das Europäische Umweltbüro (EEB) reagierte alarmiert und warnte davor, Profite von Umweltverschmutzern über die öffentliche Gesundheit und Umweltfragen zu stellen. Gerade der Chemieindustriesektor trage „maßgeblich zur globalen Umweltverschmutzung“ bei. Im vergangenen Oktober 2023 hätten Betroffene aus Belgien, Italien und Frankreich um eine Audienz bei Ursula von der Leyen gebeten, um die verheerenden gesundheitlichen Folgen von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) anzusprechen. Trotz ihres leidenschaftlichen Plädoyers seien ihre Stimmen ignoriert worden.

EEB fordert mehr Gehör für Zivilgesellschaft und Betroffene sowie eine Reform der EU-Chemikalienpolitik

Das EEB kritisierte: „Während die Staats- und Regierungschefs der EU im Vorfeld der Wahlen ihre Agenda festlegen, steht dieses private Einzelgespräch zwischen Industrie und Politikern in krassem Gegensatz zu den Hürden, mit denen Bürger und Nichtregierungsorganisationen konfrontiert sind, um sich Gehör zu verschaffen.“ Dabei komme es in ganz Europa immer wieder zu Chemieskandalen. Unternehmensriesen wie BASF, 3M, Dupont, Chemours oder Bayer-Monsanto verheimlichten nicht nur die schädlichen Auswirkungen von Chemikalien, sondern dürften diese auch weiterhin verwenden. Am Beispiel eines Briefes von Stéphanie Escoffier an die EU-Kommissionpräsidentin zitiert das EEB: „Inwieweit darf ein privates Unternehmen die Umwelt und das Trinkwasser von Hunderttausenden von Menschen verschmutzen? Und die Gesundheit der Anwohner beeinträchtigen? Wer ist für die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für die Gesellschaft bei der Produktion dieser giftigen Chemikalien verantwortlich?“. Stéphanie war während ihrer Arbeit als Chemikerin bei ARKEMA in Lyon ein Opfer chemischer Verschmutzung geworden. 

Das Europäische Umweltbüro verweist auf die Ergebnisse des Human Biomonitoring-Projektes HBM4EU: Diese zeigten ein alarmierendes Ausmaß der Belastung mit Chemikalien, die mit schweren Gesundheitsproblemen wie Krebs, Unfruchtbarkeit und Geburtsschäden in Verbindung gebracht werden. Trotz dieser Erkenntnisse beugten sich die politischen Entscheidungsträger weiterhin dem Druck der Industrie und verzögerten die dringend erforderliche Reform des veralteten EU-Chemikalienkontrollgesetzes REACH (Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe), kritisiert das EEB. Zudem breche die EU ihr Versprechen in der Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien für ein giftfreies Europa. Eine entsprechende Petition von We Move Europe nähert sich derweil der 100.000er-Unterschriften-Marke.

Beispiel PFAS: Existierender Verbotsvorschlag wird angegriffen – auch mit Fakenews

Die Umweltorganisation ChemSec kritisiert, dass sich eines der Hauptargumente der Industrie gegen das Verbot der wegen ihrer Langlebigkeit auch „Ewigkeitschemikalien“ benannten PFAS-Gruppe auf die OECD beziehe. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) habe aber nie behauptet, dass bestimmte PFAS „wenig besorgniserregend“ seien, wie in von der Industrie unterstützten wissenschaftlichen Berichten, Briefings, Lobbytreffen und Webinaren angeführt werde. Tatsächlich gab es von Anfang an keine OECD-Kriterien für Polymere, die als unbedenklich gelten, so ChemSec. Die Umweltorganisation verweist dazu auf eine aktuelle Erklärung der OECD.

Der Verbotsvorschlag für PFAS-Chemikalien (EU-News 20.07.2021, EU-News 09.02.2023), hat unter anderem deshalb für Aufregung (EU-News 31.08.2023) gesorgt, weil eine sehr große Gruppe problematischer Chemikalien verboten werden soll, statt wie bisher üblich die Chemikalien einzeln zu regulieren. In Europa sind mindestens 17.000 Standorte mit PFAS verunreinigt, und viele Europäer*innen sind auf Trinkwasser angewiesen, das PFAS über den empfohlenen Sicherheitswerten enthält (EU-News 17.11.2023). Inzwischen sind PFAS auch im Blut von EU-Politiker*innen und -Beamten nachzuweisen, zeigt eine Testaktion von EEB und ChemSec.

Nicht nur Trinkwasser, auch Lebensmittel sind mit PFAS belastet

Eine am 27. Februar veröffentlichte Studie vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) zeigt, dass europäische Bürger*innen zudem zunehmend über Lebensmittel Cocktails von PFAS-Pestiziden ausgesetzt seien. „Der Anteil dieser für Gesundheit und Umwelt hoch problematischen Stoffe hat sich in den untersuchten Lebensmitteln in nur einem Jahrzehnt nahezu verdreifacht“, so PAN Germany. Dies habe die Auswertung der Befunde aus dem amtlichen EU-Monitoring von Pestizidrückständen in Lebensmitteln der Jahre 2011 bis 2021 ergeben. Die Ergebnisse gäben „Anlass zu ernster Sorge für die Umwelt und die menschliche Gesundheit“. Als Reaktion darauf fordern die herausgebenden Organisationen ein zügiges EU-weites Verbot aller PFAS-Pestizide.

Im Untersuchungszeitraum seien in Obst- und Gemüseproben Rückstände von 31 verschiedenen PFAS-Pestiziden nachgewiesen worden. Die Zahl der Obst- und Gemüsesorten, die Rückstände von mindestens einem PFAS-Pestizid enthalten, habe sich in der EU innerhalb von 10 Jahren verdreifacht. 2021 waren von den in der EU angebauten Früchten Erdbeeren (37 Prozent), Pfirsiche (35 Prozent) und Aprikosen (31 Prozent) besonders häufig kontaminiert und enthielten oft Cocktails aus drei bis vier verschiedenen PFAS in einer einzigen Probe. Innerhalb der EU stammten die am stärksten mit PFAS-kontaminierten Lebensmitteln aus den Niederlanden, Belgien, Österreich, Spanien, Portugal und Griechenland, bei den in die EU importierten Lebensmitteln aus Costa Rica, Indien und Südafrika. In den deutschen Obst- und Gemüseproben seien insgesamt 26 verschiedene PFAS-Pestizide entdeckt worden, dabei seien auch deutsche Produkte wie Erdbeeren oder Blattsalat betroffen gewesen.

Auch gesundheitsgefährlich: PFAS als Ersatzstoffe für fluorierte Gase in Kältemitteln

Ein PFAS-Verbot kann auch wichtig werden, um zu verhindern, dass diese als Ersatzstoffe im Rahmen der kürzlich verabschiedeten Regulierung zur Verwendung von fluorierten Gasen (F-Gas-Verordnung) auf den Markt strömen. Davor warnt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die F-Gas-Verordnung sei ein wichtiger Schritt für klimafreundliche Kältetechnik und Wärmepumpen und enthalte „deutliche Verschärfungen“ zur schrittweisen Reduzierung von F-Gasen mit besonders hohem Treibhausgaspotential sowie das schrittweise Verbot des weltweit stärksten Treibhausgases Schwefelhexafluorid (SF6) in Schaltanlagen. Beim Umstieg sei aber entscheidend, ohne Umwege auf natürliche Alternativen zu setzen, so die DUH. Da fluorierte Kältemittel mit geringerem Treibhausgaspotential weiterhin erlaubt seien, bestehe sonst die Gefahr, dass Ersatzstoffe auf den Markt strömen, die zur Chemikaliengruppe der PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) gehören. [jg]

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Die UNEA-6 unterstützt ein besseres Management gefährlicher Chemikalien

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Neue F-Gas-Verordnung beschlossen: Deutsche Umwelthilfe feiert Gewinn für Klimaschutz, sieht aber akuten Handlungsbedarf gegen PFAS-Scheinlösungen