Mehr SHEIN als Sein

Übernommen von Greenpeace

Shein, gesprochen She in – eine kleine Hilfestellung für die über 30jährigen, die von der Marke womöglich noch nichts gehört haben – ist ein chinesischer Online-Shop für Mode. Vielen Acht- bis 26jährigen hingegen dürfte in Deutschland die Ultra-Fast-Fashion Marke wohl bekannt sein. Denn auf sie konzentriert sich Shein auf Plattformen wie TikTok, YouTube oder Instagram. Das erst im Jahr 2013 gegründete Unternehmen entwickelte sich in nur wenigen Jahren zum größten Modeunternehmen in der digitalen Welt.

Wer neue Männerschuhe für sieben Euro, ein Shirt für vier Euro oder Hochzeitskleider für acht Euro sucht, wird bei SHEIN fündig. Die Marketingstrategie von SHEIN ist, insbesondere junge Menschen über Social-Media-Plattformen wie TikTok mit glamourös erscheinenden Produkten zu Tiefstpreisen zu umwerben. Unbemerkt von einem Großteil der Gesellschaft, vorbei an einer kritischen Zivilgesellschaft und – wie die Greenpeace-Recherche zeigt – wohl auch vorbei an den Behörden. Der Konzern nutzt gezielt aus, dass sich die Jüngsten unserer Gesellschaft noch nicht der immensen sozialen und ökologischen Auswirkungen von billig produzierter Kleidung bewusst sind. 

Unterstützt wird SHEIN dabei von Influencer:innen, die sich ihre Empfehlung mit kostenlosen Produkten sowie anderen Vorteilen vergüten lassen. Im Gegensatz zur Popularität im Netz sind die Zulieferfirmen hinter SHEIN jedoch praktisch unbekannt: Weder über die Nähfabriken in Guangdong (China), die am laufenden Band sieben Tage die Woche Aufträge ausführen, gibt es Daten in der Öffentlichkeit; noch über die Fabriken, die diese Textilien waschen und färben – und damit den größten Einfluss auf den immensen ökologischen Fußabdruck von SHEIN haben.

Verstoß gegen EU-Vorschriften: gefährliche Chemikalien in SHEIN-Produkten 

Einige Informationen jedoch lassen sich den Produkten selbst entlocken – indem man sie zur chemischen Analyse ins Labor schickt. Greenpeace hat deshalb 47 Artikel, darunter Kleidungsstücke und Schuhe für Männer, Frauen, Kinder und Kleinkinder über SHEIN-Webseiten in Österreich, Deutschland, Italien, Spanien und der Schweiz gekauft. Und vom unabhängigen Labor BUI (Bremer Umwelt Institut) untersuchen lassen. 

Das Ergebnis: Sieben Proben (15 Prozent) enthielten gefährliche Chemikalien, die gegen EU-Grenzwerte im Rahmen der REACH-Verordnung verstoßen. In 15 Produkten (32 Prozent) steckten gefährliche Chemikalien in besorgniserregenden Mengen.

„In einem Kleid für ein kleines Kind wies das Labor einen hohen Gehalt an krebserregendem Formaldehyd nach, in einem Schuh die Weichmacher Phthalate“, erklärt Viola Wohlgemuth, Expertin für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft bei Greenpeace. „Die Ergebnisse machen klar, dass SHEIN keine Übersicht über das Chemikalienmanagement in den eigenen Zulieferbetrieben hat. Dass der Online-Gigant auch keine Liste mit gefährlichen Chemikalien veröffentlicht hat, die für die Produktion ausgeschlossen sind, ist bedenklich. Bei verantwortungsvollen Produzenten ist das mittlerweile Standard. Aus Profitinteresse gefährdet der Konzern so die Gesundheit der Verbraucher:innen – doch die Hauptlast für die Chemikalien-Abhängigkeit der Billigproduktion zahlen die Arbeiter:innen in den Produktions- und Zulieferbetrieben. Gelangen die Stoffe über Abwasser und Luft in die Umwelt, verschmutzen sie zudem etwa Flüsse und gefährden die Bevölkerung in den Produktionsländern im globalen Süden.“

SHEINS Geschäftsmodell: billiger, schneller, mehr

Seit dem Jahr 2011 fordert Greenpeace mit der „Detox My Fashion“-Kampagne die Modebranche auf, ihre Produktion zu entgiften. Mit Erfolg. Die damals adressierten Marken, darunter die Fast-Fashion Brands Zara und H&M, haben über Jahre darauf hingearbeitet, ihre Lieferketten zu entgiften und transparenter zu gestalten.

Dennoch lösten genau diese großen Konzerne vor vielen Jahren den Fast-Fashion-Trend aus und öffneten damit die Büchse der Pandora. SHEIN schlägt nun neue Kapitel auf – nicht nur durch den Einsatz giftiger Chemikalien, sondern auch durch die schiere Masse an Hosen, Shirts, Schuhen, Jacken, Kleidern heben sie die Umwelt- und Klimaschäden durch Massenproduktion in eine ganz neue Dimension.

Tag für Tag stellt SHEIN unglaubliche 6.000 bis stellenweise sogar 9.000 neue Artikel online. Darunter immer wieder Stile, die von Designer:innen, Kunstschaffenden und anderen Marken gestohlen wurden, was regelmäßig Klagen nach sich zieht – SHEIN aber scheinbar völlig unbeeindruckt lässt. Diese Artikel werden in kaum noch vorstellbarer Geschwindigkeit in 5.000 kleinen und großen Fabriken in Guangdong (China) produziert. In der Regel braucht eine Modemarke etwa drei Monate, um ein Kleidungsstück zu entwerfen und auf den Markt zu bringen. Shein hat diesen Prozess auf drei bis sieben Tage verringert und damit Zara unterboten, seinen nächsten Konkurrenten, der zwei bis drei Wochen benötigt. 

Kleidung als Wegwerfartikel

Um die Ware an die junge Generation zu bringen, bedient sich Shein aus der Trickkiste der Manipulation wie zeitlich begrenzte Angebote, die im Countdown ablaufen oder versteckte Werbung. Methoden, die eingesetzt werden, um Verbraucher:innen dazu zu bewegen, mehr zu kaufen, als sie benötigen. „Das Ultra-Fast-Fashion-Geschäftsmodell treibt die Extreme des übermäßigen Verbrauchs und der Ressourcenverschwendung noch weiter“, so Wohlgemuth. „Die billige überflüssige Ware fristet dann ein ungenutztes Dasein im Kleiderschrank, landet irgendwann im Müll oder geht Retoure. Bekannt ist allerdings, dass Online-Versandhändler die zurückgeschickte Neuware oft vernichten, wie Greenpeace mehrfach zum Beispiel bei  Amazon belegt hat. Zudem schmeißen viele Käufer:innen die Textilien eher weg, als sie zurückzuschicken, wenn der Versand teurer ist als das Produkt."

Über die vergangenen Jahre ist die Wegwerfkleidung von Ultra-Fast-Fashion-Marken zunehmend Teil des stetig wachsenden Müllbergs geworden. Der Textilmüll wird häufig nach Ostafrika und in andere Länder des Globalen Südens verschifft, landet dort auf Deponien oder wird unter freiem Himmel verbrannt. Da die Textilien hauptsächlich aus synthetischen Fasergemischen bestehen, verschmutzen sie als Plastikmüll voller Chemikalien die Umwelt, wie Greenpeace kürzlich gezeigt hat.

“Ultra-Fast-Fashion verwandelt Kleidung in reine Wegwerfartikel“, so Wohlgemuth. „Viele Kleidungsstücke sind nichts anderes als Einwegverpackungen: einmal getragen, direkt weggeworfen und nicht biologisch abbaubar und recycelbar, weil sie aus Plastik und gemischten Materialien bestehen.“ 

Aber nicht nur der dadurch entstehende Abfall ist ein großes Problem. Das toxische Problem beginnt bereits bei den synthetischen Materialien auf Erdölbasis und setzt sich mit den katastrophalen und oft irreversiblen Umweltschäden fort, die durch die Fabriken entlang der Lieferkette in den Produktionsregionen hauptsächlich in Ostasien verursacht werden. „Die EU muss ihre Gesetze zu gefährlichen Chemikalien durchsetzen", fordert Wohlgemuth. "Das ist eine Grundvoraussetzung für die Verwirklichung einer kreislauforientierten Textilwirtschaft und das Ende von giftigen Geschäftsmodellen wie bei SHEIN. Und es führt kein Weg daran vorbei, Fast-Fashion massiv zu entschleunigen.“ 

Globale Modemarken können sich nicht durch Greenwashing herauswinden. Sie müssen ihre umweltschädlichen linearen Geschäftsmodelle vollständig ändern und zu Dienstleistenden statt bloß Produzierenden werden. Das heißt: 

  • weniger Kleidung produzieren, die qualitativ hochwertiger, langlebiger, reparierbar und wiederverwendbar ist

  • Rücknahmesysteme einrichten, um Kleidungsstücke zu pflegen, zu reparieren und zu teilen

Die Alternativen zum Neukauf müssen zur neuen Normalität werden. Greenpeace fordert, dass bis spätestens 2035 nur noch etwa 40 Prozent der Kleidung neu hergestellt und 60 Prozent mit alternativen Systemen gedeckt werden wie Reparatur, Second-Hand, Verleih und Tausch.

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Giftige Chemikalien müssen im neuen Plastikabkommen berücksichtigt werden

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Hüh und Hott in der Chemikalienpolitik