EU-Chemikalienpolitik: „Mehr Tempo, mehr Umwelt, mehr Gesundheit“

Eine Übernahme der EU-Umweltnews des DNR.

Die Umweltministerinnen und Minister haben auf ihrer Oktobertagung eine Bilanz der Umsetzung der EU-Chemikalienstrategie gezogen und nächste Schritte für die Umsetzung der EU-Chemikalienstrategie debattiert (Videomitschnitt). Auf der Grundlage des vom ungarischen Vorsitz erstellten Hintergrundvermerks und von der Kommission bereitgestellten Informationen hoben sie hervor, dass die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit – im Hinblick auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt – Priorität im Rahmen der politischen Agenda des nächsten Politikzyklus haben werde. 

Im Mittelpunkt der Aussprache standen Themen wie die Priorisierung von noch nicht umgesetzten Maßnahmen, die Einbeziehung der Überprüfung der REACH-Verordnung, die Herausforderungen im Zusammenhang mit „ewigen Chemikalien“ (in erster Linie PFAS), eine bessere Governance und Finanzierung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und die Frage, wie die Umsetzung der Chemikalienstrategie beschleunigt werden kann. Mehrere Ministerinnen und Minister wiesen ferner darauf hin, dass die Ausfuhr gefährlicher Chemikalien verboten werden müsse.

Deutschland hält die EU-Chemikalienpolitik nach wie vor für „geeignet“ und deren Umsetzung für „sinnvoll“, die Präsidentschaft möge die offenen Punkte bei der EU-Chemikalienstrategie zügig angehen und dabei die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen chemischen Industrie „angemessen“ berücksichtigen. Eine „gezielte Revision der REACH-Verordnung“ sei durchaus „erforderlich“. Beibehalten werden müssten ein hohes Schutzniveau für menschliche Gesundheit und Umwelt sowie der risikobasierte Ansatz. Ein „undifferenziertes Verbot ganzer Stoffgruppen“ werde abgelehnt. Hier geht es vor allem um ein PFAS-Verbot. Der BUND hatte in einer Umfrage kürzlich gezeigt: 75 Prozent der Befragten in Deutschland befürworten ein solches Verbot.

Die EU-Kommission hatte die (ursprünglich schon für Ende 2018 vorgesehene) EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) im Oktober 2020 als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer umweltfreundlichen, giftfreien Umwelt veröffentlicht (EU-News 15.10.2020). Die Strategie versprach strengere Vorschriften für schädliche Chemikalien und die Beschränkung der Verwendung von PFAS auf wesentliche Anwendungen. Außerdem sollte die Ausfuhr von in der EU verbotenen Chemikalien in weniger entwickelte Länder gestoppt und die REACH-Verordnung der EU überarbeitet werden, um ganze Familien von Chemikalien zu kontrollieren, anstatt jeden Stoff einzeln zu behandeln.

EEB: „Untätigkeit führt zu gesundheitlicher Vorbelastung und Umweltverschmutzung“

In den Schlussfolgerungen des Rates vom Juni 2024 wurde hervorgehoben, dass „die Kommission die Chemikalienstrategie, insbesondere die Überarbeitung der REACH-Verordnung, nicht in vollem Umfang umgesetzt hat“, und es wurden unverzügliche Maßnahmen in Bezug auf PFAS und die umfassendere Chemikalienagenda gefordert, „um ihre Bemühungen um eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und widerstandsfähige EU-Industrie und eine giftfreie Umwelt fortzusetzen“, wobei das große Potenzial des CSS zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation anerkannt wurde, beschreibt das Europäische Umweltbüro (EEB). Darüber hinaus seien in der im Juli veröffentlichten strategischen Agenda des Rates die Prioritäten und strategischen Ausrichtungen der EU für den laufenden institutionellen Zyklus dargelegt worden, an denen sich die Arbeit der EU-Institutionen orientiert. Darin werde anerkannt, dass „unsere natürliche Umwelt durch den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Verschmutzung zunehmend geschädigt wird“.

Tatiana Santos, Leiterin der EEB-Chemikalienpolitik, reagierte deshalb auf die Debatte im Rat und das Tempo in der EU-Chemiepolitik äußerst kritisch: „Es ist vier Jahre her, dass die Kommission versprochen hat, etwas gegen die gefährliche Umweltverschmutzung zu unternehmen, doch mit jedem Tag der Untätigkeit verlängert sich die Exposition gegenüber giftigen Stoffen. Millionen von Babys werden durch unregulierte Chemikalien ‚vorbelastet‘ geboren und unzählige Menschen erkranken oder sterben infolgedessen vorzeitig.“ Das Versäumnis rechtzeitig zu handeln, zeuge von einem „gravierenden Mangel an öffentlicher Verantwortung“. 

Die verheerenden Folgen von verzögerten Verboten wie bei PFAS-Chemikalien, wo jahrzehntelange Untätigkeit die Verschmutzung eskalieren ließ, was zu unbezahlbaren Kosten für die Gesellschaft und für die kommenden Generationen führte, zeigten dies deutlich. Zudem sei nur eine von 13 in der EU-Chemikalienstrategie festgelegten Zielvorgaben bisher in vollem Umfang erfüllt (Report). Die Versprechen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit und das Streben nach einer giftfreien Zukunft müssten eingelöst werden. Dies könne sogar Innovationen für sicherere Alternativen fördern und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern. „Die Wettbewerbsfähigkeit darf jedoch nie auf Kosten der Gesundheit und Sicherheit der Menschen gehen“, so Santos abschließend. Zum Wettbewerbs-Bericht von Draghi und dessen Bezug auf Chemikalien gab es auch einen offenen Brief verschiedener Umweltorganisationen.

Das EEB kritisierte außerdem, dass – ungeachtet der Forderungen nach zügiger Umsetzung – weder die Chemikalienstrategie noch die Umweltverschmutzung oder deren Auswirkungen auf die Gesundheit in den politischen Leitlinien von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwähnt sind. Obwohl die Leitlinien die Verpflichtung enthielten, die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (REACH) zu vereinfachen und „Klarheit“ in Bezug auf PFAS zu schaffen (siehe Mission Letter Jessika Roswall), würden diese Bemühungen in ein Paket für die chemische Industrie eingebettet, das auf nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit abzielt. „Bei diesem Ansatz steht der Schutz der Bürger vor schädlichen Stoffen nicht im Vordergrund“, warnt der europäische Umweltdachverband. [jg]

Zurück
Zurück

Was ist erwartet uns in Bezug auf Chemikalien in der kommenden EU-Kommission?

Weiter
Weiter

Warum Gender bei der Bekämpfung der chemischen Verschmutzung wichtig ist