Der neue Untergang des Abendlandes?
Die Welt, wie wir sie kennen, wird ein Ende haben. Künftig wird die medizinische Versorgung in Deutschland zusammenbrechen, niemand wird mehr ein Handy haben, Wohlstand und unser alltäglicher Luxus wird rapide abgebaut. Dieses Horrorszenario wird immer wieder bemüht, wenn es um die Konsequenzen eines möglichen Verbots der sogenannten Ewigkeitschemikalien PFAS geht. Vor allem die Industrie und ihre Lobby sowie Konservative schießen gegen einen Vorschlag, den Fachbehörden von fünf europäischen Ländern erarbeitet haben, um PFAS europaweit zu verbieten. Doch warum sollen PFAS überhaupt verboten werden und gäbe es Alternativen zum Verbot?
Das „Forever Pollution Project“ (Projekt Ewige Verschmutzung) zeigte Anfang 2023 in ganz Europa mit PFAS kontaminierte Orte auf, 23.000 insgesamt, über 1.500 stark belastete Orte allein in Deutschland. Fast zeitgleich veröffentlichten Fachbehörden aus Deutschland, Dänemark, Norwegen, Niederlande und Schweden einen Beschränkungsvorschlag für PFAS in der EU. Die großen Industrieverbände laufen dagegen Sturm und auch die CDU versucht, den Vorschlag zu diskreditieren, zuletzt über einen Antrag im Bundestag und in einer öffentlichen Anhörung. Umwelt- und Verbraucherverbände sowie die Wissenschaft halten dagegen. Es stehen sich zwei zentrale Narrative gegenüber: Auf der einen Seite wird gesagt, PFAS seien notwendig für das Funktionieren unserer Gesellschaft, daher sei ein generelles Verbot zu pauschal und jeder Stoff der Gruppe müsste risikobasiert bewertet und dann ggf. reglementiert werden. Auf der anderen Seite stehen Argumente, dass die Umwelt- und Gesundheitsprobleme steigen würden, allein schon die Langlebigkeit der Stoffe ein Problem sei und damit die Dringlichkeit bestünde, die ganze Gruppe schnell zu verbieten.
Das Problem mit den PFAS
PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Es sind Kohlenwasserstoffe, bei denen die Wasserstoffatome vollständig (per) oder teilweise (poly) durch Fluoratome ersetzt wurden. PFAS sind chemisch und thermisch extrem stabil und werden unter natürlichen Bedingungen nicht abgebaut. Ihre Persistenz, also die Beständigkeit und Langlebigkeit, hat ihnen den Beinamen Ewigkeitschemikalien beschert. Einmal in der Umwelt, verschwinden sie dort nicht mehr. Erst ab Temperaturen von über 1.400°C werden PFAS vollständig vernichtet. Die Gruppe der PFAS besteht aus mehr als 10.000 Substanzen und reicht von F-Gasen (fluorierte Gase) bis zu Fluorpolymeren, also Plastik.
Da sie nicht nur besonders stabil sind, sondern auch fett-, wasser- und schmutzabweisend, ist ihr Anwendungsfeld groß und reicht mittlerweile von Prozesschemikalien (chemische Stoffe, die in Maschinen und Anlagen Prozesse ermöglichen) über Plastikzusätze, Beschichtungen für Pfannen, Löschschäume bis hin zu Outdoorkleidung. Emissionen bei der Produktion und aus Abfällen, aber auch die Anwendung in verbrauchernahen und umweltoffenen Anwendungen (bspw. in Ski-Wachsen) haben dazu beigetragen, dass sich PFAS in der Umwelt anreichern. Da sie sich nicht abbauen, wächst die PFAS-Belastung. Selbst an entlegenen Orten, wie der Arktis oder dem Himalaya konnten PFAS mittlerweile nachgewiesen werden. An manchen Orten überschreiten die PFAS-Mengen im Regen schon die Grenzwerte für Trinkwasser. Ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben PFAS-Konzentrationen im Blut, bei denen gesundheitliche Folgen nicht mehr ausgeschlossen werden können.
Die gesundheitlichen Folgen von PFAS sind bisher – wie die gesamte Stoffgruppe – kaum erforscht. Studien weisen aber darauf hin, dass bestimmte PFAS Nieren und Leber, das Hormon- und Immunsystem schädigen und den Fettstoffwechsel stören, die Wirkung von Impfungen verschlechtern, die Fruchtbarkeit verringern oder Krebs erzeugen können. Die gesamtgesellschaftlichen Gesundheitskosten von PFAS werden allein in der EU jedes Jahr auf 52-84 Mrd. Euro geschätzt.
Zeit zu handeln
In der 2020 veröffentlichten Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) wurde ein PFAS-Aktionsplan angekündigt. Anfang 2023 reichten Fachbehörden aus fünf europäischen Ländern bei der europäischen Chemikalienagentur einen Vorschlag ein, um die Gruppe der PFAS unter der bestehenden Chemikalienverordnung der EU – REACH – zu verbieten, mit dem Ziel deren Emissionen um 95 % zu mindern. Der Vorschlag ist ein absolutes Novum, da erstmals eine ganze Gruppe und nicht einzelne Substanzen unter REACH bewertet und reglementiert werden sollen. Da PFAS derzeit breite Anwendung finden, sind entsprechende Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren und Ausnahmeregelungen in dem über 1.000 Seiten langen Vorschlag enthalten. Ausgenommen von dem Beschränkungsvorschlag sind PFAS-Wirkstoffe für Pestizide, Biozide und Arzneimittel. Bisher waren nur einzelne, besonders weitverbreitete PFAS unter REACH verboten worden. Andere EU-Länder wie Dänemark haben daher im Alleingang gehandelt und bereits PFAS in Lebensmittelkontaktmaterialien verboten.
Bedenken ernst nehmen, aber auch ernst bleiben
Ein Verbot einer ganzen Stoffgruppe, die so breit Anwendung findet, betrifft fast alle Branchen und dies hat natürlich Auswirkungen auf die Wirtschaft. In der Folge müssen Umstellungen erfolgen und Prozesse anders vollzogen werden. Manche Produkte müssten auch gänzlich neu designt werden, da der Austausch einer Komponente nicht immer einfach machbar ist. Dennoch ist eine Adressierung der gesamten Gruppe notwendig, um die Emissionen deutlich zu senken. In gewisser Weise ist ein Stoffgruppenverbot pauschal. Aber die derzeitige Einzelstoffbewertung in der EU ist viel zu langsam. Es würde Jahrhunderte dauern, alle Stoffe der Gruppe zu bewerten und zu reglementieren. Außerdem zeigt die bisherige Praxis, dass ein Stoff, der verboten wurde, einfach durch einen sehr ähnlichen Stoff ersetzt wird, der weniger gut erforscht ist. Schäden für Mensch und Umwelt werden so meist nicht abgemindert.
Der Beschränkungsvorschlag basiert auf dem Vorsorgeprinzip, ein zentrales Prinzip im Umweltschutz der EU. Wenn Gefahren nicht kalkulierbar sind, muss vorsorglich gehandelt werden, um mögliche Gefahren abzuwehren. Die Aussage der Industrie, der Vorschlag sei pauschal und nicht wissenschaftlich, diskreditiert die Arbeit der beteiligten Fachbehörden.
In der Erarbeitung des Dossiers wurden in zwei Runden Hersteller und Anwender zu Alternativen zu PFAS befragt und diese Erkenntnisse eingearbeitet. An vielen Stellen werden PFAS bereits ersetzt, bspw. im Textilbereich. Einzelne Produzenten verabschieden sich auch schon aus der Produktion und Nutzung, nicht zuletzt, weil massive Klagen und Schadensersatzzahlungen drohen. PFAS sind eine Technologie aus dem letzten Jahrhundert und in weiten Teilen ersetzbar. Ein Verbot würde zudem einen Innovationsschub anregen für Bereiche, in denen es derzeit noch keine Alternativen gibt. Die von der Industrie proklamierte Unverzichtbarkeit von PFAS führt in die Irre, da nur acht Prozent der produzierten PFAS wirklich Teil von gesellschaftlich notwendigen Anwendungen sind, in denen sie sich nicht ersetzen lassen. Hierfür gibt es die Ausnahmeregeln in dem Vorschlag. Ein Ende der Gesellschaft, wie wir sie kennen, wird sicher nicht eintreten. Das ist Panikmache der Industrie, die ihre Profite gefährdet sieht. Dennoch wird und muss es Veränderungen geben.
Nächste Schritte
Immerhin, Einigkeit scheint darüber zu herrschen, die PFAS in den verbrauchernahen Anwendungen nicht mehr zu verwenden und ihre Emissionen zu verringern. Wer allerdings die Kosten für die bisherigen Belastungen und Kontaminationen trägt, bleibt noch offen und ist nicht Teil des Beschränkungsvorschlages. Die Debatte muss also ausgeweitet und weitere Maßnahmen jenseits des Beschränkungsvorschlages müssen getroffen werden, da es voraussichtlich noch einige Jahre dauern wird, ehe er in Kraft tritt. 2023 fand eine sechsmonatige Konsultationsphase zum Beschränkungsvorschlag statt. Über 5.600 Eingaben wurden bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) gemacht. Ein Rekordwert. Jetzt liegt es an der ECHA, die Eingaben zu bewerten. Erst danach fängt das eigentliche politische Ringen an, ob der Vorschlag vom EU-Parlament angenommen, abgeschwächt oder abgelehnt wird.
Im Weiteren muss ein PFAS-Verbot global verankert werden. Die EU kann den ersten Schritt machen und muss sich dann im Rahmen der bestehenden internationalen Abkommen dafür einsetzen, dass ein weltweites PFAS-Verbot kommt. Als organische, persistente Schadstoffe fallen PFAS unter den Geltungsbereich der Stockholm-Konvention. Doch erst drei PFAS sind hierüber international verboten. Nominierungs- und Reglementierungsprozesse sind auch hier langwierig. Unter dem Strategischen Ansatz für ein Internationales Chemikalienmanagement (SAICM) wurden PFAS bereits 2009 als Fokusthema benannt. Koordinierte Arbeiten blieben aber aus. Seit September 2023 ist das Globale Rahmenwerk zu Chemikalien (GFC) als Nachfolgeabkommen von SAICM in Kraft und hat auch die PFAS als Fokusthema übernommen. Bis zur nächsten Weltchemikalienkonferenz im Jahr 2026 sollen hierzu Arbeitsprogramme beschlossen werden. PFAS werden sicher in den kommenden Jahren auch auf internationaler Ebene eine steigende Beachtung finden. Daher kann der Beschränkungsvorschlag auf EU-Ebene als Blaupause dienen.